Ein bissfestes Abenteuer
Straßenlaternen, blaue U-Bahn-Schilder, Ampeln, Scheinwerfer von Autos, Bussen oder Straßenbahnen, warmes Kneipenlicht und kalt flimmernde Bürotürme. Allmählich wurden die Lichter weniger. Zuerst säumten Wohnhäuser die Straße, dann zunehmend Industriegebäude, die stumm und klotzig in der Dunkelheit lagen.
Wohin fuhren die Gangster? Was hatten sie vor? Je weiter sie sich von der Stadt entfernten, desto mulmiger wurde den Mädchen.
Daka starrte auf den haarigen, wulstigen Nacken des Muskelmannes auf dem Beifahrersitz. Er hatte sie gefesselt. Er hatte beinahe auf sie geschossen. Er hatte sie Stachelbirne genannt. Sie malte sich aus, wie Karlheinz über seinen Nacken kroch, zubiss und saugte, bis der Muskelmann ganz klein und platt war. Wie eine Luftmatratze ohne Luft.
Silvania musterte die Katzenfrau aus den Augenwinkeln. Sie war so klein und grazil. Sie hätte Balletttänzerin sein können, Turnerin oder ein französischer Filmstar. Aber sie war eine Kunsträuberin. Wenn man ihre großen grünen Augen sah, wusste man auch, dass sie eine eiskalte Kunsträuberin war. Silvanias Magen zog sich zusammen. Sie dachte an ihre Eltern, die jetzt zu Hause saßen und sich Sorgen machten. Sie hoffte, dass Oma Rose ihnen mittlerweile Bescheid gesagt hatte. Bestimmt hatten sie und Pförtner Schnölzel sofort die Polizei alarmiert. Bestimmt war die Polizei den Gangstern schon auf den Fersen. Bestimmt würden sie und ihre Schwester jeden Moment befreit werden. Oder?
Doch der schwarze Wagen schoss weiter unbehelligt durch die Dunkelheit. Keine Sirene heulte auf. Kein Blaulicht blitzte durch die Nacht, kein Hubschrauber dröhnte über ihnen. Sie waren allein, allein unter Gangstern.
Silvania warf ihrer Schwester durch den Klopapierschlitz einen besorgten Blick zu. Daka nickte. Im Moment konnten sie nichts tun. Sie konnten nur hoffen, dass die Gangster sie irgendwann laufen ließen. Und sie konnten nur aufpassen, dass die Angst sie nicht auffraß.
Daka begann, leise ›Transsilvania, rodna inima moi‹ zu summen. Das Lieblingsheimatlied ihres Vaters zählte zwar nicht zu ihren aktuellen Tophits, aber in der Situation war es genau das Richtige. Die Melodie tröstete und war süß wie warmer Kakao.
Silvania hätte gern zur Beruhigung an ihren Kettenanhänger gefasst. Aber mit gefesselten Händen war das unmöglich. Sie presste das Kinn auf die Brust und versuchte, an schöne Sachen zu denken. Sie dachte an die glückliche Schlussszene in einem Liebesroman, an ihre Rolltreppenbekanntschaft und an eine dicke, frische Blutwurst.
Der Muskelmann drehte sich um und klapperte mit der schweren silbernen Uhr an seinem Handgelenk. »Wir liegen gut in der Zeit.«
»Was hattest du gedacht? Dass wir bei unserem letzten Dreh stümpern?«, erwiderte die Katzenfrau mit sanfter Stimme.
Der Mann lachte kurz und schüttelte den Kopf. »Eigentlich auch schade, dass es dann vorbei ist. Verdamm mich, Mann, wir sind richtig gut.« Er zog geräuschvoll die Nase hoch und drehte sich wieder um.
Gina beugte sich zum Fahrer vor. »Nächste Ausfahrt, Köpke. Fahr zum alten Frachtterminal.«
Daka und Silvania sahen aus dem Fenster. Rechts tauchten hinter ein paar Bäumen hohe Straßenlaternen auf. Dann sahen sie einen Turm, dessen Spitze rot blinkte, und mehrere große verglaste Gebäude. Sie lagen in warmem orangegelbem Licht. Der Flughafen. Hier waren die Tepes vor ein paar Tagen aus Rumänien angekommen. Die Zwillinge hätten nicht gedacht, dass sie den Flughafen so schnell wiedersehen würden. Vor allem nicht mit gefesselten Händen und Klopapier um den Kopf.
Der schwarze Wagen glitt an Terminal eins und zwei vorbei. Sie folgten dem Cargo-Schild und ließen die orangegelben Lichter bald hinter sich. Köpke fuhr am neuen Frachtterminal vorbei und bog auf eine unbeleuchtete Nebenstraße. Die Schlaglöcher waren notdürftig mit Schotter gefüllt. Die Zwillinge, die sich mit den Händen nicht festhalten konnten, wurden auf der Rückbank hin und her geworfen.
»Halt dort vorn an dem Tor«, sagte Gina zum Fahrer.
Die Schirmmütze auf dem Fahrersitz bewegte sich einmal hoch und einmal runter. Köpke fuhr direkt vor das Tor und hielt an. Er ließ den Motor laufen. Der Muskelmann reichte ihm etwas. Die Schirmmütze bewegte sich wieder einmal nach oben und einmal nach unten.
Dann stieg der Muskelmann aus und öffnete die hintere Wagentür. »Endstation, alles aussteigen«, sagte er und richtete die Pistole auf Silvania und Daka. Die Mädchen kämpften
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