Ein bissfestes Abenteuer
erst, wenn die Frau und die Kinder im Bett waren.
Gina Golert warf ihrem Bruder einen warmen Blick zu. Er trommelte mit den Zeigefingern auf seinen Knien und summte »Money makes the world go around«. Dann sah sie auf die beleuchteten Anzeigen vor sich. Sie flogen mit 240 km/h. Das Radar zeigte bereits seit einiger Zeit an, dass sie einen Verfolger hatten. Aber der Ausschlag war so klein. Es war vermutlich nur ein Vogel.
Gina stimmte in das Summen ihres Bruders ein und sah erwartungsvoll in den Nachthimmel.
Angriff der
Luftmonster
S ilvania Tepes stand auf der einsamen, stockfinsteren Rollbahn und sah dem Kleinflugzeug und ihrer Schwester nach. Bald hatte sie die Dunkelheit verschluckt.
»Fumpfs, fumpfs, fumpfs!«, fluchte Silvania. Sie hätte ihre Schwester zurückhalten sollen. Sie hätte es bei den Gangstern noch mal mit Hypnose versuchen sollen. Sie hätte heute gar nicht ins Kunstpalais gehen sollen.
Sie hätte – aber sie hat nicht.
Einen Moment dachte sie daran, ihrer Schwester hinterherzufliegen. Doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Wahrscheinlich würde sie schlappmachen, bevor sie Daka eingeholt hatte. Bis zurück in die Stadt und zur Reihenhaussiedlung könnte sie es allerdings schaffen. Sie musste es schaffen. Sie musste Hilfe holen, den Eltern Bescheid sagen und wissen, wie es Oma Rose ging.
Das Problem war nur: In welcher Richtung lag die Stadt? Silvania war bis jetzt nur ein Mal mit einem Taxi vom Flughafen zur Reihenhaussiedlung gefahren. Da hatte sie mit Daka die Euroscheine gemustert, die ihre Mutter gleich nach der Ankunft aus Siebenbürgen aus dem Geldautomaten gezogen hatte. Als sie eben im Gangsterauto zum Flughafen gefahren waren, hatte sie den Kopf die meiste Zeit gesenkt gehabt und an schöne Dinge gedacht. Nicht daran, dass sie den Weg zurück allein finden musste.
Silvania sah nach links, nach rechts, drehte sich einmal um sich selbst. Es half nichts. Sie musste einfach losfliegen und es versuchen. Und zwar schnell. Sie rieb kurz ihren Kettenanhänger zwischen Daumen und Zeigefinger und atmete tief durch. Dann breitete sie genau wie Daka die Arme aus und nahm Anlauf. Sie lief nicht ganz so schnell wie Daka und sie hob auch nicht so leicht ab. Sekundenlang taumelte sie nur wenige Zentimeter über dem Erdboden von links nach rechts und wäre beinahe in eine alte Mülltonne geflogen. Im letzten Moment senkte sie den Kopf, legte die Arme an und schoss in die Höhe.
Ein paar Meter über der Erde fiel Silvania die Orientierung schon leichter. Sie sah den Flughafen mit den beiden Terminals. Große Flutlichter beleuchteten ihn. Im Minutenabstand stiegen Flugzeuge in die Luft. Vom Flughafen führte eine viel befahrene Straße weg. Das musste die Autobahn sein. Wenn sich Silvania recht erinnerte, führte sie nach Bindburg. Sie musste der Autobahn also nur folgen.
Silvania flog nicht gerne schnell, aber sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie sich wie gewöhnlich im Bummelflug fortbewegte, würde sie nicht vor morgen Mittag zu Hause ankommen. Also senkte sie wieder den Kopf und gab Gas. Sie betete, dass sie nicht mit einem Flugzeug zusammenstieß oder an einen der hohen Scheinwerfermasten knallte.
Doch nichts dergleichen passierte. Silvania flog am Flughafen vorbei, ohne auch nur eine kleine Schramme abzubekommen oder einen Piloten aus der Fassung zu bringen. Vielleicht war das Ganze doch leichter, als sie gedacht hatte. Sie flog in etwa 200 Metern Höhe über der Autobahn hinweg. Der Himmel vor ihr leuchtete orange und gold. Das mussten die Lichter von Bindburg sein. Silvania presste die Arme an die Seite. Für ihren Geschmack flog sie viel zu schnell. Aber was sollte schon passieren? Mitten über der Autobahn mit dem Ziel vor der Nase. Bald würde sie zu Hause sein. »Ich schaffe es, ich schaffe es«, murmelte Silvania vor sich hin.
RATSCH!
Silvania wurde schwarz vor Augen. »Schlotz zoppo!«, schrie sie und wackelte heftig mit dem Kopf. Doch es blieb schwarz. Sie wagte die Position ihrer Arme nicht zu verändern, aus Angst, sie könnte abstürzen. Sie warf den Kopf vor und zurück, was ihren Flugrhythmus völlig durcheinanderbrachte: Einmal machte sie eine Vollbremsung, und im nächsten Moment gab sie Vollgas. Es sah aus, als würde sie ein unsichtbares, buckelndes Pferd reiten.
»Hau ab! Geh von meinem Gesicht!«, rief sie. Dabei hatte sie keine Ahnung, was dort zwischengelandet war. Ein Blatt? Ein Vogel? Flugzeugmüll? Was es auch war, es ließ sich von ihrem Geschrei
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