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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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in einem Nest. Die Bäume hindern
die Leute drüben, zu spionieren, und wir sind hier wie zu
Hause.«
    Sie unterbrach sich:
    »Warte, Lucien! Willst du wohl nicht an den Springbrunnen
fassen!«
    Der kleine Junge, der Jeanne als Kavalier diente, hatte sie vom
Springbrunnen unter den Aufgang geführt und den Hahn aufgedreht. An
den spritzenden Strahl hielt er die Spitze seines Stiefelchens,
eine Spielerei, die er über die Maßen gern hatte. Jeanne schaute
ihm ernsthaft zu, wie er sich die Füße naß machte.
    »Warte,« sagte Pauline aufstehend, »ich will ihn zur Ruhe
bringen.«
    Juliette hielt sie zurück.
    »Nein, nein, du bist noch schlimmer als er.
Gestern hätte man meinen können, sie hätten alle beide ein Bad
genommen. Sonderbar, daß solch ein großes Mädchen nicht zwei
Minuten still sitzen kann … «
    Und sich umdrehend:
    »Hörst du, Lucien! dreh sofort den Hahn ab!«
    Das erschrockene Kind wollte gehorchen. Aber in der Verwirrung
öffnete es den Hahn noch mehr, und das Wasser schoß mit solcher
Stärke und solchem Zischen hervor, daß der Junge völlig den Kopf
verlor. Bis zu den Schultern bespritzt, wich er zurück.
    »Dreh im Augenblick den Hahn ab!« befahl seine Mutter wieder.
Das Blut war ihr in die Wangen geschossen.
    Da näherte sich Jeanne, die sich bis dahin mäuschenstill
verhalten hatte, dem Springbrunnen mit aller Vorsicht, während
Lucien angesichts dieses tollen Wasserstromes zu weinen anfing. Sie
schob ihr Kleidchen zwischen die Beine, streckte die Hände vor, um
sich nicht die Ärmel naß zu machen, und drehte den Hahn zu, ohne
einen einzigen Wassertropfen abbekommen zu haben. Plötzlich hörte
die Wasserflut auf. Lucien drängte verwundert seine Tränen zurück
und schaute das Mädchen mit großen Augen respektvoll an.
    »Wirklich, dies Kind macht mich noch rasend!« rief Frau Deberle,
die sich totenblaß, wie zerschlagen von dieser Aufregung, reckte
und streckte.
    Helene glaubte sich ins Mittel legen zu sollen.
    »Jeanne, gib Lucien die Hand, geh mit ihm spazieren!«
    Jeanne faßte Luciens Hand, und gravitätisch trippelten die
Kinder in den Steigen auf und ab. Das Mädchen war weit größer als
er, gleich einer Dame ließ sie die Augen wandern. Lucien konnte nicht umhin, hier und da einen
Blick auf seine Gefährtin zu werfen. Sie sprachen kein Wort.
    »Sie sind possierlich,« flüsterte Frau Deberle, lächelnd und
beruhigt. »Das muß man sagen, Ihre Jeanne ist ein reizendes Kind.
Gehorsam und verständig.«
    »Ja, nur wenn sie bei Fremden ist,« versetzte Helene, »sie hat
auch ihre garstigen Stunden. Aber da sie mich vergöttert, ist sie
bestrebt, artig zu sein.«
    Die Damen plauderten über die Kinder. Mädchen wären vorsichtiger
als Jungen. Freilich dürfe man Luciens schüchternem Wesen nicht
trauen. Vor Jahresfrist noch sei er ein Erztaugenichts gewesen. Und
ohne sichtlichen Übergang begann man von einer Frau zu sprechen,
die einen kleinen Pavillon gegenüber bewohnte und bei der pikante
Dinge vorgehen sollten. Frau Deberle hielt inne, um ihrer Schwester
zuzurufen:
    »Pauline, geh doch eine Minute in den Garten.«
    Das junge Mädchen ging ruhig hinaus und wartete unter den
Bäumen. Sie war daran gewöhnt; sobald die Unterhaltung sich auf ein
Gebiet lenkte, für das sie noch zu jung war, wurde sie
weggeschickt.
    »Gestern stand ich am Fenster und hab die Frau deutlich
gesehen … sie zieht nicht einmal die Gardinen zu … es ist
ein Skandal! Wie leicht können Kinder da hineinsehen!«
    Sie sprach ganz leise mit entrüstetem Gesicht, aber doch mit
spitzem Lächeln auf den Lippen. Dann hob sie die Stimme und
rief:
    »Pauline, du kannst wieder hereinkommen!«
    Pauline guckte unter den Bäumen zum Himmel und wartete ruhig,
bis ihre Schwester ausgeredet hatte. Sie trat in den Pavillon und setzte sich wieder, während
Juliette, zu Helene gewendet, weitersprach:
    »Sie haben niemals etwas bemerkt, Madame?«
    »Nein, meine Fenster gehen nicht auf den Pavillon.«
    Inzwischen hatte Frau Deberle wieder ihre Stickerei vorgenommen.
Sie machte alle Minuten zwei Stiche. Helene, die nicht müßig sitzen
konnte, bat um die Erlaubnis, ein nächstes Mal Arbeit mitzubringen.
Und von einer leisen Langeweile beschlichen, musterte sie den
japanischen Pavillon.
    »Hm? Nicht wahr, er ist häßlich!« rief Pauline, die Helenes
Blick gefolgt war. »Sag mal, Schwesterherz, weißt du, daß das, was
du gekauft hast, Kitsch ist? Der schöne Malignon nennt deine
Japaneserei den

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