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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ernst,
mit hellen klaren Augen in dem schönen stillen Gesicht; ihre
Nasenflügel blähten sich, als ob sie den Wind schlürfen wollten.
Kein Fältchen ihrer Röcke hatte sich verschoben. Eine Flechte ihres
Haares löste sich.
    »Vorwärts, vorwärts!«
    Ein jäher Stoß trug sie empor. Sie stieg zur Sonne, immer höher.
Ein leichter Zugwind erhob sich vor ihr und wehte im Garten. Jetzt
mußte sie lächeln, ihr Gesicht war rosig überhaucht, und ihre Augen
blitzten wie Sterne. Die gelöste Flechte schlug ihr auf den Hals.
Trotz der Schnur flatterten die Röcke und entblößten die Weiße
ihrer Fußknöchel. Man sah ihr an, wie wohl es ihr war in der
frischen freien Luft, mit geweiteter Brust.
    Jeanne klatschte Beifall. Die Mutter schien ihr eine Heilige mit
einem Glorienschein, die auf dem Fluge ins Paradies begriffen war.
Und wieder stammelte das Kind selig: »O Mama! o Mama!«
    Frau Deberle und Malignon waren unter die Bäume getreten.
Malignon fand, daß Damen außergewöhnlichen Mut besäßen, und Frau
Deberle sagte erschreckt:
    »Ich kriegte einen Herzschlag … ganz gewiß!«
    Helene hörte es im Vorbeifliegen.
    »Oh! mein Herz ist kräftig!« rief sie lachend. »Stärker, Herr
Rambaud, stärker!«
    Und wirklich, ihre Stimme blieb ruhig! Sie schien sich nicht an
die beiden zu kehren, die dort standen. Sie zählten ohne Zweifel in
ihren Augen wenig. Ihre Haarflechte hatte sich gänzlich gelöst. Die
Schnur mußte sich lockern, denn ihre Röcke flatterten. Sie stieg
noch immer.
    Plötzlich rief sie:
    »Genug, Herr Rambaud! Aufhören!«
    Doktor Deberle war soeben auf der Treppe erschienen. Er trat
heran, umarmte zärtlich seine Frau, hob Lucien auf den Arm und
küßte ihn auf die Stirn. Dann blickte er lächelnd zu Helene
hin.
    »Genug! genug!«
    »Warum denn?« fragte er, »ich störe doch nicht?«
    Helene gab keine Antwort, sie war sehr ernst geworden. Die im
vollen Flug schwingende Schaukel hielt nicht sogleich an, sie
führte Helene noch immer hoch empor. Und der Doktor, überrascht und
entzückt, bewunderte sie. Sie war prächtig anzuschauen mit ihrer
großen und kräftigen Gestalt, ihren edlen, einer antiken Bildsäule
würdigen Formen, so leicht im Frühlingssonnenlicht dahingeweht.
Aber sie schien ärgerlich, daß die Schaukel nicht zum Stillstand
gebracht wurde, und sprang plötzlich ab.
    »Halt! halt!« schrien alle wie aus einem Munde.
    Helene stieß einen Klagelaut aus. Sie war auf den Kies gefallen
und konnte sich nicht aufrichten.
    »Mein Gott, welche Unklugheit!« sägte der Doktor mit blassem
Gesicht.
    Alle machten sich um die Verunglückte zu schaffen. Jeanne
weinte, daß Herr Rambaud, den selbst eine Schwäche überkam, die Kleine auf die Arme heben mußte.
Der Doktor befragte Helene.
    »Das rechte Bein ist's, nicht wahr? Sie können nicht
auftreten?«
    Und als sie keine Antwort gab, fragte er weiter:
    »Haben Sie Schmerzen?«
    »Ein dumpfer Schmerz, da am Knie,« sagte sie mühsam.
    Nun schickte der Doktor seine Frau um Besteck und
Verbandzeug.
    »Wir müssen sehen, müssen sehen. Es hat wahrscheinlich nichts
auf sich.«
    Dann kniete er auf dem Kiesboden. Helene ließ ihn gewähren. Aber
als er sie betastete, erhob sie sich mit Anstrengung und zog die
Röcke um ihre Füße.
    »Nein, nein!« flüsterte sie.
    »Aber, ich muß doch sehen … als Arzt … «
    Helene bebte leicht und flüsterte:
    »Ich mag nicht … es ist nichts!«
    Er sah sie verwundert an. Eine schwache Röte stieg an ihrem
Nacken hinauf. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Augen und
schienen auf dem Grund ihrer Herzen zu lesen. Da stand Doktor
Deberle, selbst verwirrt, langsam auf und blieb bei ihr, ohne zu
fragen, ob er sie besuchen solle.
    Helene hatte Herrn Rambaud herangewinkt. Sie flüsterte ihm ins
Ohr:
    »Holen Sie Doktor Bodin! Erzählen Sie ihm, was mir passiert
ist.«
    Als später Doktor Bodin kam, richtete sie sich mit
übermenschlicher Anstrengung auf und stieg, auf ihn und Herrn
Rambaud gestützt, zu ihrer Wohnung hinauf. Jeanne folgte
schluchzend.
    »Ich erwarte Sie,« hatte Doktor Deberle zu
seinem Kollegen gesagt. »Bringen Sie uns beruhigende
Nachricht!«
    Im Garten plauderte man lebhaft. Malignon behauptete, daß die
Frauen schnurrige Geschöpfe seien. Warum auch mußte es dieser Dame
einfallen, aus der Schaukel zu springen? Pauline, die über das
Abenteuer sehr ärgerlich war, das sie weiteren Vergnügens beraubte,
fand es ebenfalls unklug. Der Arzt schwieg und schien in Sorge zu
sein.
    »Nichts

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