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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Unterhaltung wurde lauter.
    Plötzlich erwachte Helene und machte ihre Hände frei, die unter
Henris Küssen brannten …
    »Mama, Mama!« lallte Jeanne, wie von einem Alpdruck beschwert,
unruhig bemüht, sich aufzurichten.
    »Verstecken Sie sich, bitte verstecken Sie sich um
Himmelswillen! Sie töten sie, wenn Sie hier bleiben,« flehte Helene
voll Herzensangst.
    Henri trat hinter den blauen Samtvorhang in die
Fensternische.
    Das Kind jammerte:
    »Mama, Mama, o wie muß ich leiden!«
    »Ich bin ja bei dir, mein Liebling. Wo hast du Schmerzen?«
    »Ich weiß nicht … da tut's weh, siehst du, da
brennt's.«
    Die Kleine hatte mit verkrampftem Gesicht die Augen groß
aufgeschlagen und stemmte die Fäuste gegen die Brust.
    »Hier hat's mich irgendwo plötzlich gepackt … habe ich denn
geschlafen? Oh! Ich habe es gefühlt, es war ein heftiges
Feuer.«
    »Aber das ist nun vorbei. Und jetzt? Fühlst du jetzt nichts
mehr?«
    »O ja, o ja, noch immer brennt's,« wimmerte die Kleine.
    Unruhig ließ sie die Blicke durchs Zimmer wandern. Jetzt schien
sie völlig wach, der böse Schatten senkte sich und machte ihre
Wangen bleich.
    »Du bist allein, Mama?«
    »Aber ja doch, mein Liebling!«
    Jeanne schüttelte suchend den Kopf und
zeigte wachsende Erregung.
    »Nein, nein, ich weiß es recht gut … es ist jemand
da … ich fürchte mich so, Mama, ich fürchte mich! Du bist
nicht allein… «
    Eine nervöse Krise kündigte sich an. Schluchzend sank das Kind
zurück und versteckte sich unter der Decke, als wolle es einer
Gefahr entgehen.
    Helene wies gänzlich von Sinnen Henri sofort aus dem Zimmer. Er
wollte bleiben, als Arzt. Sie drängte ihn hinaus. Dann nahm sie
Jeanne wieder in die Arme, die in großen Schmerzen laut
jammerte.
    »Du liebst mich nicht mehr! Du liebst mich nicht mehr!«
    »Schweig doch, mein Engel, wie kannst du nur so reden! Ich hab
dich mehr lieb als alles in der Welt. Du wirst schon sehen, ob ich
dich liebe!«
    Helene blieb bis zum Morgen am Krankenbett, entschlossen, für
ihr Kind das Herzblut zu opfern, im Innersten erschrocken, daß ihre
eigene Liebe in diesem teuren Wesen so schmerzvollen Widerhall
fand. Durchlebte hier nicht die Tochter der Mutter eigene
Liebe?
    Am nächsten Morgen wünschte sie eine Beratung der Ärzte. Doktor
Bodin war zufällig gekommen und hatte die Kranke untersucht. Dann
hatte er eine lange Unterredung mit Doktor Deberle, der sich im
Nebenzimmer aufhielt. Beide Ärzte waren der Ansicht, daß bei dem
gegenwärtigen Zustand keine ernstliche Gefahr vorläge, befürchteten
aber Komplikationen. Es handelte sich hier offenbar um Symptome,
die in der Familie erblich sind und die die Wissenschaft vor
manches Rätsel stellen. Helene mußte ihnen noch einmal berichten:
ihre Großmutter sei im Irrenhause von Tulettes, wenige
Kilometer von Plassans – ihre Mütter
plötzlich an einer akuten Lungenerkrankung nach einem an nervösen
Anfällen überreichen Leben gestorben. Sie, Helene, gliche dem Vater
in Temperament und Statur. Jeanne dagegen sei ganz das Ebenbild der
Großmutter, nur schwächlicher. Die beiden Ärzte empfahlen nochmals
größte Schonung für die Kranke. Man könne bei diesen Zuständen von
Bleichsucht und Blutarmut, die der Nährboden so vieler grausamer
Erkrankungen sind, nicht genug Vorsicht üben.
    Henri hatte dem alten Doktor Bodin mit einer Unterwürfigkeit
zugehört, die ihm sonst im Umgang mit Kollegen nicht eigen war. Er
zog jenen mit der Miene eines Schülers, der an sich selbst
zweifelt, zu Rate. Die Wahrheit war, daß er vor diesem Kinde Furcht
empfand. Jeanne entschlüpfte seiner Wissenschaft. Er fürchtete sie
zu töten und so auch die Mutter zu verlieren. Eine Woche verstrich.
Helene hatte Deberle nicht mehr im Krankenzimmer geduldet. Da
stellte er, ins Mark getroffen, seine Besuche ein…
    Ende August konnte Jeanne aufstehen und im Zimmer umhergehen.
Seit vierzehn Tagen hatte sie keinen Anfall mehr gehabt und lachte
in leiser Fröhlichkeit. Die Mutter war ja bei ihr geblieben und
hatte die Genesung beschleunigt. Noch immer blieb das Kind
mißtrauisch, verlangte vorm Einschlafen die Hand der Mutter und
hielt sie noch im Schlafe fest. Als sie später sah, daß niemand
mehr hereinkam und die Mutter allein an ihrem Bett saß, kehrte ihr
Vertrauen zurück. Sie war es zufrieden, daß das trauliche Leben von
einst, als sie noch beisammen am Fenster saßen, nun wiedergekehrt
war. Von Tag zu Tag röteten sich ihre Wangen, und Rosalie meinte,
daß sie zusehends

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