Ein Blatt Liebe
schwer,« sagte der Doktor und stellte
Lucien wieder auf die Füße. »Also die Saison ist gut gewesen? Ich
habe gestern Malignon getroffen. Er hat mir erzählt, wie es euch
ergangen ist… Du hast ihn also früher abreisen lassen?«
»Ach, er ist unausstehlich,« erwiderte Juliette verlegen. »Er
hat uns die ganze Zeit bloß Verdruß gemacht.«
»Dein Vater hoffte doch für Pauline… Hat er sich nicht
erklärt?« »Wer? Er? Malignon?« rief sie
erstaunt und tat beleidigt. Dann machte sie eine wegwerfende
Handbewegung: »Ach, laß doch, er ist und bleibt ein dummer Junge!…
Wie glücklich bin ich, wieder zu Hause zu sein!«
Dann wandte sich Juliette verabschiedend an Helene:
»Ich hoffe, wir werden uns noch recht oft wiedersehen …
wenn es Jeanne hier gefällt, soll sie nur jeden Nachmittag
herunterkommen.«
Helene hatte schon nach einer guten Ausrede gesucht und
entschuldigte sich damit, man dürfe das Kind noch nicht allzusehr
anstrengen. Jeanne fiel ihr lebhaft ins Wort:
»Nein, nein, die Sonne scheint hier gar zu schön… Mama und ich
werden gern kommen, liebe Frau Doktor… Sie werden mir doch ein
Plätzchen aufheben?«
Der Doktor suchte sich hinter seiner Frau zu verstecken, während
das Kind ihm zulächelte.
»Herr Doktor! Sagen Sie es doch der Mama, daß mir die Luft nicht
schädlich ist.«
Deberle stieg ein leichtes Rot in die Wangen. Er freute sich
sichtlich, von diesem Kinde so freundschaftlich angesprochen zu
werden.
»Ganz gewiß! Die frische Luft wird der Genesung unserer kleinen
Jeanne nur zuträglich sein, gnädige Frau.«
»Du siehst also, Mütterchen, wir werden schon kommen müssen,«
schmeichelte sie mit tränenerstickter Stimme.
Jetzt zeigte sich Pierre auf der Treppe. Er hatte die siebzehn
Koffer der Gnädigen verstaut. Juliette, gefolgt von ihrem Gatten
und Lucien, eilte davon. Sie müßten sich jetzt schleunigst vom
Reisestaub säubern und ein Bad nehmen. Als Helene endlich allein
war, kniete sie sich zu dem Kinde auf die
Decke, tat, als wolle sie ihr den Schal fester knüpfen, und fragte
leise:
»Du bist also nicht mehr auf den Doktor böse?«
Das Kind schüttelte den Kopf.
Helene schien mit ungeschickten Händen den Schal nicht knüpfen
zu können. Da flüsterte Jeanne:
»Warum liebt er denn andere? … Ich will das nicht… «
Ihr Blick wurde hart und finster, während die kleinen Hände die
Mutter streichelten. Helene fürchtete sich vor den Worten, die ihr
jetzt auf die Lippen kommen könnten.
Seitdem bestand Jeanne hartnäckig darauf, in den Garten zu
gehen, wenn sie Frau Deberle unten hörte.
Begierig lauschte sie dem Schwatzen Rosalies über das
Doktorhaus, alles im Privatleben dort drüben wurde ihr interessant.
Oft schlüpfte sie aus dem Zimmer und spionierte sogar aus dem
Küchenfenster. Von ihrem Lehnstühlchen aus schien Jeanne die ganze
Familie Deberle zu überwachen. Gegen Lucien war sie zurückhaltend
und über seine Spiele und Fragen ungeduldig, wenn der Doktor dabei
war. Für Helene waren diese Nachmittage unerträglich. Wenn Henri
auf das Haar seiner Frau einen Kuß drückte, gab es ihr stets einen
Stich ins Herz.
Wenn sie in solchen Augenblicken der Verlegenheit sich mit
Jeanne zu schaffen machte, fand sie das Kind blasser als zuvor, mit
großen, weitoffenen Augen, das Gesicht in verhaltenem Zorn
verzerrt.
An solchen Tagen war Helene am Ende ihrer Kraft. Jeanne blieb
finster und abgespannt, man mußte sie hinauftragen und zu Bett
legen. Sie konnte den Doktor nicht mehr neben seiner Frau sehen,
ohne jeder seiner Bewegungen mit dem Zorne
des verletzten Weibes zu folgen…
»Ich huste morgens. Sie müssen wieder heraufkommen und nach mir
sehen, Herr Doktor!«
Eine längere Regenzeit setzte ein, und Jeanne bestand darauf,
daß der Doktor endlich mit seinen Besuchen begönne, obwohl es ihr
schon weit besser ging. Um das Kind zufriedenzustellen, hatte
Helene mehrmals die Einladung der Frau Deberle zum Mittagessen
angenommen. Das Kind schien sich zu beruhigen, als es endlich
gänzlich gesundet war.
»Bist du jetzt glücklich, meine liebe süße Mama?«
»Ja, mein Liebling, ich bin sehr, sehr glücklich.«
Jeanne strahlte vor Seligkeit.
Kapitel 13
Die Nacht kam. Vom fahlen Himmel, an dem die ersten Sterne
funkelten, schien eine feine Asche über die Stadt Paris zu regnen
und sie langsam zu begraben.
Am Horizont stieg eine pechschwarze Wolkenwand auf, verzehrte
das letzte Tageslicht und löschte die säumigen Lichter, die sich
gen Westen
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