Ein Blatt Liebe
wieder
einnahm, tauschten sie ein vertrautes Lächeln. Es fiel kein Wort.
Jeanne allein nahm ihr Denken und Sinnen in Anspruch, Jeanne
gehörte ihnen beiden wie ihre Liebe. Zuweilen aber, wenn sie sich
um die kleine Kranke zu tun machten, etwa das Deckbett in die Höhe
zogen oder ihr den Kopf höher rückten, fanden sich ihre Hände. Es
war die einzige Zärtlichkeit, unabsichtlich und verstohlen, die sie
einander vergönnten.
»Ich schlafe nicht, ich weiß ja, daß ihr da seid,« flüsterte
Jeanne.
Dann freuten sich beide, das Kind sprechen zu hören. Wunschlos
trennten sich ihre Hände, das Kind gab ihnen Ruhe und Frieden.
»Bist du munter, mein Liebes?« fragte Helene, wenn sie nur sah,
daß die Kranke sich bewegte.
Jeanne antwortete nicht sogleich. Sie sprach wie im Traume.
»Oh! Ja, ich fühle mich gar nicht mehr schlecht … Ich höre
euch, und das freut mich.«
Dann schloß sie wieder die Augen und lächelte glücklich.
Als sich am andern Morgen der Priester und Herr Rambaud
einfanden, ließ sich Helene die Ungeduld anmerken. Die Besucher
störten sie in ihrem glücklichen Winkel. Und als sie teilnehmend
fragten und man den Gesichtern die Angst
vor schlimmen Nachrichten ansah, war sie so grausam, zu sagen, daß
es Jeanne noch immer nicht besser ginge. So unüberlegt hatte sie
allein aus der Selbstsucht heraus geantwortet, die Freude über die
Rettung des Kindes für sich und Henri allein zu behalten. Warum
wollte man ihr Glück teilen? Es gehörte ihnen beiden – unteilbar.
Nein, kein Fremder sollte zwischen ihre Liebe treten.
Der Priester war ans Bett getreten.
»Jeanne! Deine guten Freunde sind da … Du erkennst uns wohl
nicht!«
Das Kind schüttelte ernst den Kopf. Jeanne wollte nicht
plaudern, wechselte nur nachdenklich einen Blick des
Einverständnisses mit ihrer Mutter. Die beiden Getreuen gingen
wieder, und noch größer war ihr Schmerz.
Nach drei Tagen erlaubte Henri der Kranken das erste Ei. Es war
ein großes Ereignis. Jeanne wollte die Kostbarkeit durchaus allein
mit Mutter und Doktor bei verschlossenen Türen verspeisen. Da Herr
Rambaud gerade zugegen war, flüsterte ihr die Mutter, die schon
eine Serviette über die Bettdecke gebreitet hatte, ins Ohr:
»Warte, bis er fort ist.«
Als sich Rambaud bald darauf verabschiedete, rief Jeanne:
»Schnell, schnell … das ist viel schöner, wenn nicht so
viele Leute da sind.«
Helene hatte das Kind aufgesetzt, und Henri schob ihr zwei
Kissen in den Rücken. So wartete Jeanne mit glückstrahlenden Augen,
den Teller auf den Knien, auf ihre Mahlzeit.
»Soll ich dir das Ei aufschlagen?«
»Ja, so ist es recht, Mama.«
»Und ich will dir auch drei recht feine
Schnittchen fertigmachen,« sagte der Doktor.
»0 nein … ich will vier Schnittchen essen. Da staunst du,
gelt?«
Jeanne hatte den Doktor zum ersten Male geduzt. Als er ihr das
erste Schnittchen gab, haschte sie nach seiner Hand und küßte sie
mit leidenschaftlicher Zuneigung.
»Nun sei recht lieb,« sprach ihr Helene zu und konnte kaum die
Tränen zurückhalten. »Iß nun schön dein Ei, mein Kind! Du machst
uns eine große Freude.«
Jeanne aber war noch so schwach, daß sie schon beim zweiten
Schnittchen wieder Müdigkeit fühlte. Sie lächelte tapfer bei jedem
Bissen und sagte, sie habe zu weiche Zähne. Henri sprach ihr Mut
zu, und Helene kamen die Freudentränen. Dem Himmel Dank! Sie sah
das Kind essen! Dieser Anblick rührte sie tief. Plötzlich kam ihr
der Gedanke, daß ihre kleine Jeanne starr und tot unter einem
Grabtuch läge … und nun aß das Kind! Es aß so lieb und
zierlich mit langsamen Gesten, ein wenig zögernd, – endlich eine
Genesende!
»Du bist doch nicht böse, Mama? Ich tue, was ich kann. Ich bin
schon beim dritten Schnittchen. Bist du nun zufrieden?«
»Ja, ganz zufrieden, mein Liebling. Ich freue mich ja so
schrecklich!«
Und in dem Übermaß des Glückes, das ihr das Herz sprengen
wollte, vergaß sie sich und lehnte sich an Henris Schulter. So
lächelten beide dem Kinde zu. Dann aber schien Jeanne unwillig zu
werden. Sie schaute die beiden verstohlen an und senkte den Kopf,
während Schatten von Zorn und Mißtrauen sich auf das schmale
Gesichtchen legten. Sie aß nicht mehr.
Kapitel 11
Die Genesung zog sich durch Monate hin. Noch im August hütete
Jeanne das Bett. Gegen Abend durfte sie ein oder zwei Stunden
aufstehen. Nur mühsam konnte sie sich bis ans Fenster schleppen, wo
sie in einem Lehnstuhl ruhte, das Gesicht der untergehenden
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