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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Schreckliche Stunden haben Sie
durchleben müssen! Nun ist es ja glücklich überstanden… Sie
erlauben doch, daß ich Ihnen einen Kuß gebe?«
    Helene hatte sich erhoben. Sie mußte zwei Küsse hinnehmen und
erwidern. Sie stammelte verlegen:
    »Sie sind doch nicht etwa böse, daß wir in
Ihren Garten eingedrungen sind?«
    »Was Sie nur von mir denken,« sagte Juliette temperamentvoll.
»Sind Sie denn hier nicht zu Hause?«
    Endlich ließ sie ihre Gäste allein, wandte sich wieder zur
Treppe und rief durch die weitgeöffneten Türen:
    »Pierre! Vergessen Sie nichts! Es sind siebzehn Koffer!«
    Sogleich kam Frau Deberle zurück und fing an, des langen und
breiten von ihrer Reise zu erzählen.
    »Oh! eine wunderbare Saison! Wir waren in Trouville, Sie wissen
doch. Am Strand eine Menschenmenge, zum Erdrücken!… Papa ist mit
Pauline vierzehn Tage dort gewesen… Man freut sich immerhin, wieder
zu Hause zu sein … Ach, das habe ich Ihnen noch gar nicht
gesagt. Aber nein, das muß ich Ihnen später unbedingt erzählen…
«
    Dann küßte sie Jeanne noch einmal und fragte Helene mit
ernsthafter Miene:
    »Bin ich sehr braun geworden?«
    »Nein, man merkt nichts davon,« musterte Helene Frau
Deberle.
    Juliette mit ihrem hübschen liebenswürdigen Gesichtchen, den
hellen Augen und festen Händen, schien nicht älter geworden. Die
Seeluft hatte das unbedeutende Gesicht der Doktorsfrau wirklich
nicht angegriffen. Sie schien von einem Spaziergange in Paris
zurückgekehrt, von einer Besorgung heimzukommen…
    »Aber so warten Sie doch! Sie haben ja meinen Lucien noch nicht
gesehen,« unterbrach sie sich plötzlich… »Der ist ein kräftiger
Bursche geworden!«
    Der kleine Junge, den die Kammerfrau vom Staub der Reise
säuberte, wurde herbeigebracht, und die Mutter drehte ihn bewundernd nach allen:: Seiten.. Lucien,
dick und rotwangig, sonnenverbrannt vom Spielen am Strande, in der
Seeluft gebräunt, strotzte vor Gesundheit. Als er Jeanne bemerkte,
zögerte er. Sie schaute ihn mit brennenden Augen aus dem mageren
Gesichtchen an. In der Flut ihrer schwarzen Haare, umrahmt von
langen Locken, glich es der weißen Leinwand. Ihre schönen großen
Augen blickten traurig, und trotz der starken Hitze überlief sie
ein Frösteln, während die schwachen Finger sich ballten und
streckten wie vor einem großen Feuer.
    »Nun, willst du ihr keinen Kuß geben?« ermunterte Juliette.
    Lucien schien sich zu fürchten. Endlich spitzte er, den Mund
vorsichtig verschiebend, die Lippen, um die Kranke möglichst nicht
zu berühren. Geschwind fuhr er zurück. Helene war dem Weinen nahe.
Wie dieser Junge gedieh! Wie er sich tummelte! Und ihre Jeanne war
so schwach, daß sie kaum den kleinen Weg um das Rasenbeet machen
konnte. Es gab doch wirklich noch glückliche Mütter! Juliette
fühlte plötzlich ihre Taktlosigkeit und schalt auf Lucien ein. »Ei,
was bist du für ein grober Klotz! Nimmt man so junge Damen in den
Arm… ? Sie glauben gar nicht, meine Teure, der Junge ist in
Trouville gänzlich verwildert!«
    Frau Deberle hatte sich in Zorn geredet. Zum Glück erschien ihr
Gatte. So konnte sie von der mißlichen Situation endlich
ablenken:
    »Ach, da kommt ja Henri!«
    Der Doktor hatte seine Frau erst am Abend zurückerwartet, doch
sie hatte einen früheren Zug benutzt. Und nun gab es lange
Auseinandersetzungen über das Warum und
Weshalb, ohne daß es zu einer endgültigen Klarstellung kam. Der
Doktor hörte ihr lächelnd zu.
    »Na, nun seid ihr ja endlich glücklich da,« meinte er
trocken.
    Er hatte Helene nur mit stummer Verbeugung begrüßt, dann fiel
sein Blick für einen Augenblick auf Jeanne, und er sah verlegen zur
Seite. Die Kleine hatte diesen Blick fest ausgehalten, faßte das
Kleid der Mutter und zog sie an sich.
    »Sieh da, dieser Schlingel,« rief der Doktor, »geht auf wie ein
Hefekloß.« Damit hatte er Lucien auf den Arm genommen und ihn auf
die Backen geküßt.
    »Nun! Und ich? Mich vergißt du wohl ganz?« schmollte
Juliette.
    Sie bot ihm den Mund, aber ihr Gatte behielt Lucien auf dem Arm
und beugte sich nur vor, um seiner Frau einen Kuß zu geben. Alle
drei lächelten einander zu. Helene war sehr blaß und wollte sich
entschuldigen. Jeanne aber weigerte sich, mit hinaufzugehen. Sie
hatte ihre dunklen Blicke noch immer auf das Ehepaar Deberle
gerichtet, dann wandte sie sich langsam der Mutter zu. Als nun
Juliette ihres Gatten Kuß empfangen hatte, war in die Augen des
Kindes eine Flamme geschossen.
    »Das Kerlchen ist mir zu

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