Ein Braeutigam und zwei Braeute
hebräischer Aufschrift. Ein junger Mann stand im Eingang und fragte Chaim: »Du bist hungrig, ja? Dann komm herein.«
Chaim ging hinein. Man brachte ihm eine Schüssel Hafergrütze und einen Brotkanten. Andere junge Männer saßen an einem langen Tisch. Nach dem Mahl betrat ein barhäuptiger Jude mit dem Bart eines Lehrers und der goldgeränderten Brille eines Reichen den Raum und fing an zu predigen: Der wahre Messias sei bereits gekommen, und sein Name sei Jesus von Nazareth. Dieser Jude sprach dann von dem kleinen Lamm, dem Osteropfer und Jesajas Prophezeiung, eine Jungfrau werde schwanger sein und einen Sohn gebären. Er erläuterte den schwierigen Vers in Psalm 2,12 mit den Worten, er bedeute: Küsset Gottes Sohn.
Da war Chaim klargeworden, daß er unter die Missionare gefallen war, aber er scheute sich, das Essen stehenzulassen und wegzulaufen. Und auf einmal war der Konvertit aufgetaucht. Offenbar lebte er hier.
Ja, Juden hatten ihn vertrieben, und er war zu den Missionaren übergewechselt. Chaim erkannte ihn wieder, und der Konvertit versicherte ihm: »Ich bin Jude! Jude! Aber der Messias ist schon da. Ihr wartet vergebens. Jesus ist der Messias … Jesus von Nazareth!«
Als diese Geschichte bis ins Bethaus drang, hieß es unter den dortigen Juden: »Das ist das Problem mit den Gojim. Sie haben nicht die Geduld zu warten.«
Ein Stück Finsternis
Die Tür ging auf, und eine alte Frau mit Stock trat ein. Sie war nicht weiß, sondern schwarz: Sie trug eine zottelige schwarze Frauenperücke, hatte ein dunkles, runzliges Gesicht, schwarze Augen, ein schwarzes Bärtchen an der Spitze ihres vorstehenden Doppelkinns – und sie trug ein schwarzes Umschlagtuch und ein so langes schwarzes Kleid, daß es den Boden hinter ihr zu fegen schien. Mit hohem Alter verbindet man gewöhnlich Ruhe und Frieden, aber bei dieser Frau hatte es etwas Finsteres, Hexenhaftes. Überall sprossen ihr Barthaare und Warzen.
Sie hatte jedoch ein jüdisches Anliegen. Sie sei alt, sagte sie. Sie hatte ein wenig Geld gespart, das sie bei Lebzeiten nicht aufbrauchen würde. Da sie kinderlos war, wollte sie einen achtbaren Mann verpflichten, der eines Tages zu ihrem Andenken Kaddisch sagen würde. Sie schlug vor, mein Vater solle das tun, und war bereit, ihm einen Vorschuß von hundert Rubeln zu geben. Der Rest sollte nach ihrer Beerdigung gezahlt werden.
Wir hätten das Geld gut gebrauchen können, aber mein Vater lehnte ab. Er sagte, niemand wisse, was morgen sei. Wie könne er da Geld von ihr annehmen? Niemand habe einen Vertrag mit dem Allmächtigen. Ich spürte, daß Vater noch andere Bedenken hatte. Er wollte nicht vom Tod eines anderen profitieren, selbst wenn es der einer alten Frau war. Die ganze Sache war ihm zuwider.
Doch die alte Frau ließ nicht locker. Wenn der Rabbi ihr nicht helfen könne, wer dann, forderte sie laut und pochte mit dem Stock. Vater überlegte, wer diese Aufgabe übernehmen könnte, und fand rasch den rechten Mann. Im Bethaus gab es einen kleinen Mann mit grauem Bärtchen, frischer Gesichtsfarbe und jungen Augen. Obwohl nicht mehr der Jüngste, hatte er noch immer einen munteren Gang. Er trank oft, dachte sich Geschichten aus und machte seine Späßchen. Ganz offensichtlich war er gesund, Gott sei Dank, und würde noch viele Jahre zu leben haben. Er war ein kleiner Krämer gewesen, doch jetzt unterstützte ihn sein Schwiegersohn, ein wohlhabender Obstgroßhändler. Vater ließ den Mann holen. Als er ihm die Bitte der Alten vortrug, war der Mann sofort einverstanden. Er rieb sich die geröteten Hände und sagte: »Warum nicht? Kaddisch ist Kaddisch.«
Die Alte starrte ihn finster an. Ihre schwarzen Augen schienen sich in ihn hineinzubohren, um seine innersten Geheimnisse zu ergründen. Nach einem kurzen Augenblick rief sie: »Er soll bei dem Totengebet für mich auch Vorbeter sein.«
»Warum nicht? Ich mache den Vorbeter.«
»Ein ganzes Jahr lang!« stieß die Alte zornig hervor.
»Gewiß, das ganze Jahr hindurch.«
»Und an meinem Todestag soll ein Jahrzeitlicht für mich entzündet werden, und Sie müssen die Mischna studieren.«
»Die Mischna studiere ich sowieso …«
»Ich will einen Vertrag und einen Handschlag.«
Hier schaltete Vater sich endlich ein: »Wir können eine schriftliche Vereinbarung treffen, aber ein Handschlag ist nicht nötig. Wenn ein Jude ein Versprechen abgibt, hält er sein Wort, so Gott will.«
»Sie, Rabbi,
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