Ein Braeutigam und zwei Braeute
gestorben.
Bei der Beerdigung brach zwischen der Witwe und der Tochter des alten Mannes Streit aus. Nach den sieben Tagen der Schiwe kam die Alte zu Vater und verlangte, er solle einen neuen Kaddischbeter für sie suchen. Und noch eins: Da ihr Ehemann keinen Sohn hinterlassen habe und sein Schwiegersohn ein Grobian, Flegel und Schurke sei, sei sie bereit, zusätzlich ein paar Rubel aufzuwenden für jemanden, der für ihn Kaddisch sagte.
Die Alte stand in der Küche, kohlrabenschwarz, mit verzerrtem Gesicht, schiefem Mund – ein Stück Finsternis. Eine dämonische Kraft ging von ihr aus. Meine Mutter kam normalerweise allen Leuten freundlich entgegen, aber gegen diese alte Mörderin zeigte sie offenen Widerwillen. Vater sagte, er wisse keinen anderen Kaddischbeter, und deutete an, sie möge ihn in Ruhe lassen. Doch sie ging nicht sogleich. Ihr Blick strahlte grimmige Entschlossenheit aus, die gespenstische Selbstsicherheit derer, die zu lange gelebt haben und den Todesengel nicht mehr fürchten. Ich war damals noch ein kleiner Junge, aber ich spürte genau, daß die Alte auf irgendeine geheimnisvolle Weise ihren Kaddischbeter umgebracht hatte. Einer Spinne gleich, hatte sie ihn in ihrem Netz gefangen und vernichtet.
Ein Rabbi, anders als mein Vater
Von Zeit zu Zeit erhielt mein Vater Besuch von einem anderen Rabbi. Er glich Vater in nichts: er war groß, breit gebaut, korpulent, mit pechschwarzem Bart und brennenden schwarzen Augen, und er war auch besser gekleidet. Im Winter trug er einen Pelzmantel mit Schößen, im Sommer einen seidenen Überzieher. Stets hatte er einen neuen Hut, und nie ging er ohne Schirm. Und er rauchte Zigarren. Er brachte die Aura des erfolgreichen Rabbis mit, für den alles gut läuft.
Es lief aber nicht so gut, wie es den Anschein hatte. Er war einmal Rabbiner in einer größeren Stadt gewesen, war jedoch aus irgendeinem Grund seines Amtes enthoben worden. Jetzt lebte er in Warschau und war praktisch dasselbe wie mein Vater, ein unbedeutender kleiner Rabbi. Das Gehabe des Reichen hatte er sich trotzdem bewahrt. Er trug sämischlederne Halbstiefel mit Gummisohlen. Seine Zigarren rauchte er in einer Bernsteinspitze. Sein Schirm hatte einen silbernen Griff. Und seine Hände waren dicht behaart, was an sich schon ein Zeichen von Wohlstand war.
Wie sehr unterschied er sich von meinem Vater! Er trat geräuschlos ein, zog sich gemächlich die Überschuhe aus (die Messingmonogramme hatten), stellte den Schirm in eine Ecke, und binnen kurzem erfüllte der Duft seiner Zigarre die Küche. Meine Mutter streifte er aus dem Augenwinkel. Im Arbeitszimmer ließ er sich vorsichtig nieder, als wäre der Stuhl nicht stabil genug. Vater empfing ihn freundlich – wie jedermann – und bat Mutter, Tee und Küchel zu bringen. Der Rabbi nahm den Hut ab, unter dem er eine hohe Jarmulke trug.
»Wie geht es Ihnen?« fragte Vater.
Das waren so ziemlich die einzigen Worte meines Vaters während des ganzen Besuchs; mehr zu sagen gelang ihm nicht. Der Rabbi fing an zu reden und redete mehrere Stunden. Er sprach nur von sich und seiner Größe. Er lobte sich selbst nicht direkt und sprach auch nicht schlecht von anderen, aber alle seine Äußerungen liefen auf das eine hinaus: er, der Rabbi, war der größte Gelehrte seiner Generation, und alle anderen Rabbis waren totale oder halbe Ignoranten, die keine Ahnung hatten, was sie studierten, und in allen Fragen bloß an der Oberfläche blieben. Der Rabbi sprach nur von seinen Büchern, seinen neuen Auslegungen, seinen Leistungen. Aus seinen stechenden Augen blitzten die Verachtung und der Spott eines Mannes, der alles besser weiß, aber meint, die Welt mißgönne ihm seinen Erfolg und verweigere ihm aus Neid die Anerkennung.
Ich stand hinter Vaters Stuhl und hörte zu. Bisweilen versuchte Vater etwas zu sagen, aber der Rabbi ließ ihn nicht zu Wort kommen. Er machte eine Handbewegung, die zu sagen schien: Was wissen Sie denn? Was könnten Sie überhaupt zu einem solchen Thema zu sagen haben? Es ist Ehre genug für Sie, daß ich hierherkomme und zu Ihnen spreche.
Der Rabbi tat noch einiges, was meinen Vater mit Sicherheit geärgert hat. Wenn er auf eine Talmudstelle Bezug nahm, übersetzte er sie Wort für Wort, als wäre mein Vater ein kleiner Elementarschüler. Zu der Zeit hatte mein Vater schon mehrere gelehrte Kommentare verfaßt und war bereits Rabbi in einer Stadt gewesen. Es war bestimmt nicht notwendig, ihm irgend etwas zu
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