Ein bretonisches Erbe
mit Kartoffeln, Getreide, Artischocken und Sonnenblumen führte.
Und dann war es so weit. Yuna überquerte die Schnellstraße und nahm die schmale, aber gute Straße direkt nach Le Ro. Sie verlief vom Hochplateau durch eine kleine Felsschlucht und war an ihren Rändern dicht gesäumt von alten, großen Platanen. Etwa auf halber Strecke machte sie eine leichte Linkskurve und führte geradewegs zum Meer hinunter.
Ein Schauer durchlief sie, während sie durch diese Kurve fuhr und plötzlich das Meer so unglaublich blau und strahlend vor ihr lag, so dass sie das Gefühl hatte, als könne sie das Motorrad geradewegs hineinlenken.
In all den Jahren, in denen sie als Kind hier Ferien gemacht hatte, war es immer wieder das gleiche optische Wunder gewesen. Hunderte von Kilometern Fahrt durch das Land. Weiden, Kühe, Häuser, Hochebenen und allenfalls mal leichte Hügel, nichts, was dem Auge Sensationen bot und dann das: Nach dieser einen Kurve plötzlich die ganze atemberaubende, smaragdgrüne und tiefblaue Herrlichkeit des Meeres.
Yuna musste einfach an den Randstreifen fahren und einen Moment anhalten. Beide setzten die Helme ab, atmeten die prickelnde Meeresluft und genossen den fantastischen Ausblick.
„Willkommen zu Hause“, sagte Julien, „ich hoffe und wünsche Dir von Herzen, dass du in Le Ro eine zweite Heimat finden wirst. So wie dein Großvater, der im Ort viele Freunde hatte.“
Yuna dankte ihm und konnte es kaum fassen, dass sie es geschafft hatte. Dass sie tatsächlich wieder da war. Am Lieblingsort ihrer Kindheit.
Sie durchfuhren die Hauptstraße des Ortes und kamen auf die Strandstraße, die man hier etwas übertrieben Promenade nannte! Ziemlich am Ende, wo der Sandstrand von Felsen und steilen Klippen abgelöst wurde, lag hinter einer hohen Mauer verborgen, das Anwesen von Juliens Großeltern. Nur der zentrale Rundturm, in dem Julien auf luftiger Höhe sein Zimmer hatte, lugte über das Bollwerk.
Yuna setzte ihn hier ab und nach einem herzlichen Abschied und dem Versprechen, sich bald wieder zu treffen, bog sie auf eine unbefestigte Schotterstraße ab. Ein einfaches Schild aus Holz, mit dem Namenszug An Triskell, wies zwischen hohen Farnen, Ginstern und blühender Glockenheide den Weg zu Großvater Pierres Haus. Ach, nein, zu ihrem Haus. Sie lächelte verhalten bei diesem immer noch befremdlichen Gedanken und merkte, wie sie zunehmend nervös wurde. Kein Wunder, denn es erwarteten sie nicht nur ein wunderbares Erbe sondern ganz sicher auch der Zorn ihres Bruders und die Vorwürfe ihrer Mutter.
Ein fast zwei Meter hoher Menhir, aus dessen Spitze ein keltisches Kreuz heraus gemeißelt war, zeigte an, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Er markierte die Einfahrt zu einem kleinen Hof, in dessen Mitte ein Brunnenrondell lag, dicht mit gelb und orange blühenden Ringelblumen bewachsen.
Alles wirkte wie immer. Kaum zu glauben, dass tatsächlich fünfzehn Jahre seit ihren letzten Ferien vergangen waren. Im Gegensatz zu anderen Gegenden schien hier die Zeit wirklich stehen geblieben zu sein.
Der Sportwagen von Yunas Mutter parkte direkt vorm Haus, dass teilweise aus rustikalen Granitquadern errichtet war und dessen weiße Sprossenfenster im Sonnenlicht blitzten.
Sie stellte das Motorrad daneben ab, hängte den Helm an den Lenker und ging mit leicht steifen Schritten zum Eingang, der unter einem kleinen, schiefergedeckten Vordach lag. Ihre Arme schmerzten und sie freute sich schon auf den Muskelkater am nächsten Tag. Die Fahrt war doch ein ziemlicher Kraftakt gewesen, besonders, da sie nicht eben gut trainiert war. Aber egal, sie waren heil angekommen und nur das zählte.
Sie griff nach dem Messingtürklopfer und ließ den Ring, der im Maul eines Löwen steckte, mehrmals gegen eine kleine ornamental verzierte Metallplatte schlagen, die zum Schutz des Holzes von ihrem Großvater darunter angebracht worden war.
Doch der Terrier Emory und Yunas Mutter hatten ihre Ankunft bereits gehört und während der Hund kräftig bellte, riss Monika Lindberg im Moment des Klopfens die Tür so schwungvoll auf, dass Yuna ihr förmlich in die Arme stolperte. Da landete sie gut und sicher und liebevoll umarmt und vom Hund begeistert angesprungen, ließ sich für sie auch die sofort einsetzende Schimpftirade ihres Bruders einigermaßen ertragen.
„Hört auf“, machte Monika Lindberg aber dem Geschwisterzwist gleich ein Ende. „Yuna ist da und das Motorrad auch. Alles ist gut und wenn du heute noch fährst, kannst du
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