Ein bretonisches Erbe
es aus. Lass uns hinüber zur Kapelle auf der Pointe du Van fahren. Das ist eine gute Strecke zum Üben.“
Er hatte recht und zusätzlich gab es noch einen spektakulären Ausblick über die Bucht, den Phare und die Inseln, welche der Pointe du Raz vorgelagert waren.
Die Fahrt selber geriet erst ziemlich wackelig und Yuna war schon nahe daran aufzugeben und Julien vorzuschlagen, dass er doch lieber Bus oder Bahn nehmen sollte. Aber nach dem Besuch der Kapelle schienen die himmlischen Mächte mit ihr zu sein und der zweite Anlauf gelang schon wesentlich besser.
„Ein hohes Tempo traue ich mir aber nicht zu“, räumte sie dennoch gleich vorsichtig ein.
„Dann verzichten wir besser auf Autobahn und Schnellstraßen und wählen den Weg durch das Landesinnere. Er ist ohnehin kürzer, über Landstraßen durch das Argoat zu fahren, durch das bewaldete Hinterland führt sowieso die reizvollste Strecke von hier nach Norden.“
Darin konnte Yuna Julien nur zustimmen und als sie gegen Mittag, die zerklüftete Bergregion durchquerten, war sie ihm noch einmal ganz besonders für diesen Vorschlag dankbar.
Die dunklen, weitgehend kahlen Hügel, die von Grasmatten und Heideflächen überzogen waren, zeigten eine ganz andere Seite der Bretagne, die schwerblütig war und karg und auch ein wenig abweisend. Dennoch entfalteten gelbblühender Ginster, hohe Farne und krüppelige alte Eichen einen Zauber, der an Merlin, Viviane und Morgane denken ließ… an geheime Rituale, magische Liebe und dunkle Intrigen.
Die Schafe, die hier ruhig weideten, waren kleiner und zotteliger, als die auf den satten Wiesen in Deutschland. Sie liefen frei herum und hatten, damit man sie später wieder ihren jeweiligen Herden und Besitzern zuordnen konnte, einen roten oder blauen Farbfleck auf dem Fell.
Hin und wieder lagen einige von den Tieren auf dem wärmeren Asphalt und blockierten die schmalen Straßen. Dann hieß es, absteigen und selbst Hand anlegen und die bockige Bande aus dem Weg räumen.
Julien stellte sich dabei äußerst ungeschickt an und wäre als Tiermediziner wohl fehlbesetzt gewesen. Aber Yuna hatte ihren Spaß daran, wie er nach Wildwestmanier einen Bock unter den Arm klemmte und in das Heideland neben der Straße zerrte. Wobei es zeitweilig eher so aussah, als gäbe der Bock die Richtung an.
Ihr spontaner Applaus belohnte seinen heldenhaften Einsatz und verscheuchte erfreulicher Weise auch gleich die restliche Herde.
„Alles Weiber“, meinte Julien grinsend, „die rennen doch jedem Bock hinterher!“
„Ah, ja? Hast wohl im Allgemeinen keine so hohe Meinung von Frauen?“
„Nicht, wenn sie Schafe sind!“
Yuna schmunzelte und fragte sich doch zugleich, was genau er damit eigentlich gesagt hatte. Das klang ein bisschen machohaft und ganz anders, als sie es ihrem Freund aus Kindertagen zugetraut hätte. Egal, er war lustig und auf jeden Fall unglaublich viel selbstbewusster geworden. Mit jeder Minute, die sie mit ihm verbrachte, wurde sie neugieriger auf ihn und mehr als einmal dankte sie der wunderbaren Fügung, die den traurigen Anlass der Bestattung ihres Großvaters mit der aufregenden Wiederbelebung ihrer Jugendfreundschaft verbunden hatte.
Nun würde sie immer beide Ereignisse zusammendenken und niemals nur traurig, sondern auch immer ein wenig glücklich sein.
Sie machten in einem kleinen Gasthof an der Landstraße Rast, bei dem auch zahlreiche Handwerker und ein paar Routiers ihre Wagen geparkt hatten. Das sprach auf jeden Fall für die Qualität der Küche.
Es gab eine ansprechende und preiswerte Plat du jour mit Faux Filet, Haricot verts und einem Nachtisch nach Wahl. Yuna entschied sich für den Tarte au pommes, einen mit hauchdünnen Apfelscheiben belegten, in Frankreich sehr beliebten Traditionskuchen, für den sie einfach ein Faible hatte. Der schwarze petit café machte sie auch heute wieder munter und die Erzählungen von Julien über die Marotten seiner Medizinprofessoren waren ein sehr amüsantes Tischgespräch.
Fast während der ganzen Fahrt über Land blieb der Himmel grau und Wolken verhangen, doch nun riss die Bewölkung auf und hinter den Fetzen wurde blauer Himmel sichtbar. Es dauerte nicht lange und sie erreichten den Punkt, wo schnell wandernde Schäfchenwolken und ein ganz spezielles Licht die nahe Küste ankündigten.
Die Luft wurde plötzlich klar und Möwen lösten die Krähen ab, die sie immer mal wieder begleitet hatten, als ihr Weg auf dem letzten Stück durch ausgedehnte Felder
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