Ein bretonisches Erbe
Jahren auch gelesen, eine gewöhnungsbedürftige Sprache, aber ich war dennoch sehr von der Erzählung gefesselt. Wie gut, dass diese harten Zeiten für die Menschen hier vorbei sind.“
„Harte Zeiten?“
„Ja, im neunzehnten Jahrhundert lebte der größte Teil der Bretonen vom Hochseefischfang. Vor allem Kabeljau aus den Gewässern vor Island. Die Männer waren mehrere Monate im Sommer auf See und viele kamen nie wieder zurück.“
„Warum nicht?“
„Die See war rau und oft stürmisch und die Schiffe liefen noch unter Segel und waren darum bei weitem nicht so sicher wie heute die Motorschiffe und selbst für die ist die Fischerei in isländischen Gewässern immer noch kein Sonntagsspaziergang. Damals brauchte es ganze Kerle und dennoch blieb mancher auf See. Auch für die Frauen war es ein hartes Leben, denn sie waren monatelang allein und mussten doch Haus und Kinder versorgen. Oft wurden sie schon in jungen Jahren zur Witwe.“
Die Worte ihrer Mutter hatten Yuna noch neugieriger auf das Buch gemacht, aber da sie nun die Promenade erreichten, wurde ihre Aufmerksamkeit von dem geschäftigen Treiben dort abgelenkt.
An der Esplanade waren zahlreiche Stände aufgebaut, an denen heimisches Obst und Gemüse, Geflügel, Eier und Fisch feilgeboten wurden. Natürlich zogen die Fischstände die beiden Frauen am meisten an. Schließlich wollten sie wissen, ob die Fischer wenigstens ordentliche Beute gemacht hatten, wenn sie ihnen schon den Schlaf mit ihren nächtlichen Rufen geraubt hatten.
Sie wurde nicht enttäuscht. Auf einer Schicht aus klein gehacktem Eis lagen dicke orangerote Taschenkrebse mit mächtigen Scheren, rote Meeresspinnen mit langen haarigen Beinen, blaugrüne Hummer und eine bunte Mischung unterschiedlichster Fische: Kabeljau, Seezungen, Rochen, Makrelen, Sardinen und die bunten Lippfische, die sich gerne in den Küstengewässern aufhielten, um mit ihren Kussmündern die Felsen abzuweiden. Ein großartiger Anblick und es fiel schwer die Wahl zu treffen, was davon heute bei ihnen auf den Speiseplan sollte.
„Wollen wir einen Krebs kaufen?“, schlug Yuna begeistert vor. Denn sie erinnerte sich, dass Krebsfleisch mit Majonäse eine traditionelle und ganz köstliche Vorspeise der Gegend war. Es hatte ihr außerdem immer großen Spaß gemacht mit einem Gerät, das einem Nussknacker nicht unähnlich war, die Scheren aufzuknacken und mit einer speziellen schmalen Gabel das Fleisch aus den Schalen zu pulen.
Monika Lindberg gefiel der Vorschlag, es gab genügend große Töpfe im Haus, um darin einen Krebs oder Hummer zu kochen und es machte ihr mittlerweile nichts mehr aus, die noch lebenden Tiere in das brodelnde Wasser zu werfen. Nachdem sie einmal gesehen hatte, wie in einem Fischgeschäft in Perros Guirec eine zum Grillen vorgesehene Languste bei lebendigem Leib zerteilt wurde, empfand sie es noch als die humanste Art, Krustentiere ins Jenseits zu befördern.
Am Obst- und Gemüsestand kaufte Yuna noch Salat und zwei dicke Artischocken. Sie wurden in der Gegend von St. Pol de Leon auf großen Feldern angebaut und es war für sie in Kindertagen immer ein großes Vergnügen gewesen, Blatt für Blatt von diesen Riesendisteln abzuzupfen und das weich gekochte Fruchtfleisch mit den Zähnen abzuziehen. Zwar war der Abfallhaufen der Artischockenblätter sehr viel größer als die Fruchtfleischausbeute, aber der Spaß war einfach riesig, wenn die ganze Familie Blätter durch die Zähne zog, die Erwachsenen fleißig dem Cidre zusprachen und lustige Anekdoten erzählt wurden.
Da es zum Kochen nun schon zu spät war, kehrten Yuna und ihre Mutter wieder bei Rufflés ein und aßen jeder eine Galette , einen Buchweizencrêpe, mit Salat, Lachs und einem ordentlichen Schlag Creme Fraiche. Ein unvergleichlich frischer Genuss und eines der liebsten Sommergerichte von Yuna, welches sie auch zu Hause gerne hin und wieder für ihre Freundinnen zubereitete.
Nach dem Essen und einem petit café trugen die Frauen ihre Einkäufe nach Hause und weil Yuna nicht so erpicht darauf war, den Krebs im Kochtopf sein Leben aushauchen zu sehen, verabschiedete sie sich mit dem Hund an den Strand. Natürlich mit dem Hintergedanken, dort vielleicht Julien zu begegnen.
Es war ihr selber unverständlich, mit welcher Sehnsucht sie schon seit dem Morgen immer wieder an ihn dachte und wie sehr sie einem weiteren Treffen entgegen fieberte. Dabei fiel es ihr zunehmend schwerer, sich nicht einzugestehen, dass sich aus der Freundschaft
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