Ein bretonisches Erbe
zweier Jugendlicher etwa zu entwickeln drohte, was sie für die nächste Zeit in ihrer Lebensplanung bewusst ausgeklammert hatte, weil sie fürchtete, dass es sie wieder völlig aus der Bahn werfen könnte.
Sie schüttelte den Kopf, als sie auf das Östliche Orakel zuging, und dachte: Nein, es kann keine Liebe sein. Das wäre wirklich im Moment völlig unpassend. Aber was war es dann?
Nachdenklich wanderte sie, freudig umsprungen von Emory, den einsamen Strandabschnitt entlang, über den der kürzeste Weg zu den zerklüfteten Klippen führte, die unter dem Haus ihres Großvaters lagen und wo sich selten Menschen aufhielten. Dort angekommen, setzte sie sich auf einen großen Felsblock und sah hinaus auf das Meer, das mit seiner steten Bewegung sofort einen beruhigenden Einfluss auf ihre Psyche ausübte.
Hin und wieder warf sie einen Blick auf das Gutshaus von Juliens Großeltern am Ende der Promenade, um auch ja nicht sein, von ihr so herbeigesehntes, Auftauchen zu verpassen. Auch ohne konkrete Verabredung, war sie sicher, ihn hier am Lieblingsort ihrer Kindertage zu treffen.
Der Felsen auf dem sie saß, war von der Mittagssonne aufgeheizt worden und strahlte nun eine angenehme Wärme ab. Das gute Essen hatte sie etwas lethargisch gemacht und so geriet sie ins Dösen und als ihr fast die Augen zu fielen, legte sie sich flach auf den Bauch, bettete den Kopf auf die verschränkten Arme und entspannte nach dem Geist nun auch ihren Körper. Wenn Julien kam, würde er sie hier bestimmt gleich entdecken.
Sie hatte schon eine ganze Weile in diesem Dämmerzustand verbracht, als sie plötzlich aufschreckte.
Der Hund, der vorher neben ihr auf dem warmen Felsen gelegen hatte,
war fort und auch am Strand, wo er sonst mit den Dorfhunden herumzutollen pflegte, war er nicht zu entdecken. Er schien sich förmlich in Luft aufgelöst zu haben. Sie begann erst leise, dann immer lauter und besorgter nach ihm zu rufen. Nichts. Er blieb verschollen.
War er vielleicht nach Hause zurück gelaufen? Aber dann hätte sie ihn doch sehen müssen, denn von dort wo sie in den Felsen saß, konnte sie den ganzen Strand gut überblicken. Wenn er allerdings unvorsichtig in den Klippen herumgesprungen war, konnte er sich dabei möglicherweise verletzt haben und nun ihre Hilfe brauchen.
Yuna erinnerte sich, dass in der Saison immer wieder Menschen oder Hunde aus den Klippen geborgen werden mussten, die irgendwo in einer Spalte eingeklemmt waren und sich vor dem Einsetzen der Flut nicht selber wieder befreien konnten. Es waren auch schon Todesfälle zu beklagen gewesen…
Sie mochte diesen schrecklichen Gedanken gar nicht weiterdenken und sie brauchte es auch nicht.
Denn plötzlich erklang hinter ihr eine vertraute Männerstimme, die belustigt fragte:
„Dieser Ausreißer gehört doch sicher zu dir?“
Sie fuhr herum und sah direkt in die tiefblauen Augen von Julien. Er hielt den zappelnden Emory in den Armen und lachte sie mit blitzenden, weißen Zähnen an. Yuna musste an sich halten, um nicht sofort in seine Arme zu stürzen. Nun gut, das ging im Moment ja auch gar nicht, weil sich der Hund an diesem privilegierten Platz befand. Aber gerade gab Julien ihn frei und mit einem eher uneleganten Sprung landete Emo vor Yunas Füßen.
Sie tadelte den Ausreißer pflichtgemäß und er schlich mit eingekniffenem Schwanz davon und rollte sich an einem schattigen Platz am Fuße des Felsen zusammen. Der Strand und die Klippen waren für ihn eine völlig neue und offensichtlich äußerst spannende Erfahrung.
Yuna ließ sich wieder auf den Felsen sinken und Julien hockte sich zu ihr, legte wie selbstverständlich seinen Arm um sie und meinte liebevoll: „Es ist schön, dass du da bist. Ich habe gehofft, dich hier zu finden.“
„Ich dich auch.“
„Fein, meinst du, wir könnten ein bisschen reden?“
Sie lachte irritiert und fühlte sich plötzlich ein wenig verlegen. Wenn Männer mit einer Frau „reden“ wollten, verhieß das meistens nichts Gutes.
Aber auch er wirkte nicht mehr ganz so selbstbewusst, als er fragte:
„Ich bin froh, dass du wieder hier bist, Yuna, aber wie lange wirst du bleiben?“
Ins Schwarze, dachte sie, er hat genau den wunden Punkt getroffen und leise sagte sie: „Bis Freitag, meine Mutter hat noch Prüfungen an der Hochschule bevor die Semesterferien beginnen. Sie ist seit einigen Jahren Dozentin für Europäische Geschichte. Sie muss zurück.“
„Und du? Musst du auch zurück? Unterrichtest du auch
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