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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Menton
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Auftragsarbeit waren, die dein Großvater für jemand anderen ausgeführt hat. So wie er ja viele seiner Skulpturen für öffentliche Auftraggeber geschaffen hat. Was du miteinander in Verbindung bringst, sind einfach nur ein paar außergewöhnliche Zufälle, die passieren können, aber nicht wirklich etwas bedeuten.“
    Er nahm ein zweites Croissant, schmierte sich Marmelade drauf und verspeiste es etwas unkonzentriert. Yuna schaute ihm schweigend zu, bis er schließlich leicht irritiert sagte: „Philosophen, welche die Welt mit der sogenannten Chaostheorie erklären wollen, würden es für ganz normal halten. In einer Welt, wo alles durch den Zufall erklärt wird, treffen immerzu solche Dinge zusammen, die scheinbar Bedeutung vermitteln wollen, aber in Wirklichkeit gar keine haben. Nicht die Dinge sind bedeutsam, sondern ihre Interpretation durch den Betrachter.“
    Darin konnte Yuna ihm als Künstlerin folgen, denn jeder Mensch hatte seine ganz eigene Art Kunst zu erfahren und zu deuten. An der Hochschule hatte man es individuelles Rezeptionsverhalten genannt, in das Vorerfahrungen, Wünsche und Träume der Betrachter eines Kunstwerkes eingingen. Natürlich geschah nichts im Leben eines Menschen unbeeinflusst, denn sofort nach seiner Geburt wurde er ja durch seine Umwelt geprägt. Und so war ihr Interesse an dieser Inschrift in der Höhle vermutlich hauptsächlich dadurch entstanden, dass dieses Datum, ob zufällig oder nicht, mit dem Geburtsdatum ihres Vaters übereinstimmte.
    Sie nahm einen Schluck Café und versuchte ihre Gedankengänge auch für Julien etwas anschaulicher zu machen.
    „Diese Schrift in der Grotte ist zum Gedenken an ein Unglück angebracht worden. Das weiß ich ja jetzt und es interessiert mich natürlich, was das für ein Unglück war. Aber du hast Recht, Julien, ich hätte vermutlich nie so ein starkes Interesse an diesem Ereignis entwickelt, wenn es nicht zufällig an einem Tag stattgefunden hätte, der für mich eine ganz bestimmte Bedeutung hat. Hätte dort irgendein x-beliebiges Datum gestanden, so hätte ich meine Familie nie mit dieser Schrift in Verbindung gebracht und sie hätte für mich nicht mehr Bedeutung gehabt, als eine fremde Grabinschrift auf einem der alten Friedhöfe.“
    Julien nickte. „Genau. Du siehst, Bedeutung erlangt ein Gegenstand oder ein Ereignis für einen Menschen nur, wenn er es mit etwas Bekanntem aus seinem Leben in Verbindung bringen kann.“
    „Das Datum hatte für mich in der Tat eine Bedeutung, aber ich weiß ja nun, dass es mit meinem Vater gar nichts zu tun hat, sondern vermutlich diese Marie van Veen an jenem Tag des Jahres 1943 umgekommen ist. Möglicherweise sogar in der Grotte.“
    Sie schaute Julien forschend an.
    „Meinst du Marie hat sich mit ihrem Liebhaber in der Grotte getroffen und die beiden sind von der Flut überrascht worden und darin ertrunken?“
    Julien lachte. „Du bist eine rettungslose Romantikerin, Yuna! Aber möglich ist alles. Was hältst du von meiner Version? Sowohl mein Großvater als auch Dein Großvater waren in Marie verliebt, beide wollten sie in der Grotte treffen und sind sich auf dem Weg dahin begegnet. Sie haben um das Mädchen gestritten, das beim Warten auf ihren Liebsten nicht bemerkte, dass die Flut sie einschloss. Als unsere Großväter es entdeckten, war es zu spät. Sie gaben sich beide die Schuld an ihrem Tod, gelobten aber über den wirklichen Hergang Stillschweigen bis an ihr Lebensende.“ Er grinste unernst. „So was schafft dann eine lebenslange Freundschaft.“
    Yuna sprang nun verärgert auf.
    „Ich wollte die Sache ernsthaft mit dir besprechen. Was soll dieser Unsinn. Die Bäckersfrau hat von einem großen Unglück gesprochen, von mehreren Toten und von einer Schuld, welche das ganze Dorf bedrückt. Das ist doch wohl etwas anderes, als der Groschenroman, den du da gerade konstruiert hast!“
    Sie nahm ihre Jacke und die Hundeleine, pfiff nach Emo und verließ wütend die Küche. „Schönen Tag noch!“, knurrte sie, dann knallte sie die Haustür hinter sich ins Schloss.

    Mit zornigen Schritten lief sie den Klippenweg hinunter. All diese Theorien schienen ihr viel zu glatt. Natürlich konnte zum Beispiel auch eine Gruppe von Kindern in der Höhle umgekommen sein, was für das Dorf sicherlich ein großes Unglück gewesen wäre, weil es ja dann mehrere Familien betroffen hätte.
    Aber warum sollte man daraus so ein Geheimnis machen? Es musste mehr dahinter stecken als ein Unfall. Der wäre

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