Ein bretonisches Erbe
Islandfischern . Ich bin mir ziemlich sicher, dass vieles mit diesem Roman zu tun hat, der dich offenbar innerlich sehr beschäftigt. Ich muss zugeben, dass der sentimental-emotionale Stil, in dem er verfasst ist, sensiblen Menschen ganz schön auf´s Gemüt schlagen kann.“
Als sie nicht antwortete, schaute er sie grübelnd an.
„Vielleicht haben auch noch die Gedenktafeln in St. Laurent und der stürmische Abschluss des Pardons dazu beigetragen.“
Damit mochte Julien wohl recht haben. Die Geschichte von Gaud und Yann und dem harten Leben der Islandfischer und die in St. Laurent gewonnene Erkenntnis, dass tatsächlich fast alle Familien der Gegend Väter und Söhne auf See verloren hatten, gingen Yuna schon sehr nahe.
„Und das Medaillon am Hals der jungen Frau? Wie kommt es dahin?“
„Eine unbewusste Gedankenverknüpfung“, ließ er sich nicht beirren. „Das stützt nur die These, dass das Unterbewusstsein, wahllos und zufällig Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit mit Dingen verknüpft, die uns aktuell sehr beschäftigen.“
Er lächelte und lieferte ihr gleich ein Beispiel.
„Du hast zum Beispiel vor einer akademischen Prüfung einen wunderschönen Traum und plötzlich taucht darin völlig unmotiviert dein Professor auf…“
„Du meinst also, das Medaillon hat gar nichts mit diesem Liebespaar zu tun? Nur weil ich mir darüber seit Tagen Gedanken mache, habe ich es in diese… diese… Vision gedanklich mit eingebaut?“
„Genau“, sagte Julien erleichtert, weil er nun den Eindruck hatte, dass sie allmählich begriff, was er ihr sagen wollte.
„Nachdem du es im Sand gefunden hattest, hat es dich genau so beschäftigt, wie die Liebesgeschichte von Yann und Gaud in deinem Buch. Und in deiner Fantasie hast du die beeindruckende Erinnerung an das Liebespaar in diesem Totentanz damit in Zusammenhang gebracht.“
Das klang plausibel. Aber sie fand es trotzdem unheimlich, zu welch seltsamen Kapriolen das menschliche Gehirn ganz offensichtlich fähig war. In der Theorie war das doch etwas anderes, als es selbst im eigenen Kopf zu erleben.
„Also, du meinst, das ist alles logisch erklärbar? Es besteht kein Grund an meinem Verstand zu zweifeln?“
Er legte beruhigend seine Hand auf Yunas Oberschenkel.
„Das einzige, was mir wirklich Sorgen macht, ist dieses Schlafwandeln“, sagte er und kratzte sich am Kopf. „Lies besser abends nicht mehr so dramatische Sachen!“
Sie schenkte ihm ein spitzbübisches Lächeln und versuchte nun selber auch, die Angelegenheit etwas lockerer zu nehmen. „Dann werde ich wohl auf das Sandmännchen als Einschlaflektüre umsteigen müssen.“
Und ehe Yuna noch mit ihrem Vorschlag kommen konnte, meinte er:
„Wenn das nichts hilft, wäre es vielleicht besser, wenn in den nächsten Nächten jemand auf dich aufpassen würde...“
Na endlich, dachte sie und sagte: „Daran habe ich auch schon gedacht.“
„Ach ja, und wer könnte da deiner Meinung nach in Frage kommen?“
Sie lachte provozierend und sprang von der Bank auf.
„Der Hund natürlich, der darf ab sofort auf meinem Bettvorleger schlafen!“
Als sie weg lief, rannte Julien hinter ihr her und jagte sie einmal fast durch den ganzen Kräutergarten der Mönche. Beim Riesenfenchel fing er sie schließlich ein und rang ihr einen Kuss ab.
„Damit wir uns nicht falsch verstehen“, sagte er, als sie atemlos von einander ließen, „wenn hier einer auf dich aufpasst, dann bin ich es!“
Julien macht seine Worte noch am selben Abend wahr und zog mit Kulturbeutel, Bademantel und kleinem Gepäck in An Triskell ein, was Yuna freute, allerdings auch ein bisschen irritierte.
Seit Michaels Auszug hatte sie alleine gelebt und sich auch nicht vorstellen können, jemals wieder mit einem Mann so eng zu sein, dass sie die Wohnung mit ihm teilte. Mal etwas Sex war okay, aber das musste ja nicht gleich zu einer Wohn- und schon gar nicht zu einer Lebensgemeinschaft führen.
Natürlich war es mit Julien ganz anders, da war so eine gewachsene Nähe, eine wunderbare Übereinstimmung in ihren Gefühlen, der absolut erotische Sex… Aber sie würde trotz ihrer Verliebtheit ein bisschen auf der Hut sein müssen, dass sie mit ihm nicht schon jetzt in etwas rein schlidderte, was sie vor sich und ihrem Gewissen vielleicht gar nicht verantworten konnte. Was wusste sie schon von ihm? Die vergangenen fünfzehn Jahre hatte er bestimmt nicht als Mönch gelebt, ebenso wenig wie sie als Nonne. Sie würde das akzeptieren
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