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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Hawaii«, sagte Schula. »Aber frag mich ja nicht, wo diese Insel liegt. Die Hauptsache ist doch, dass die Amerikaner jetzt dabei sind.«
    Hanna konnte die Aufregung nicht ganz verstehen, Amerika war doch so weit weg. Trotzdem ließ sie sich von der Begeisterung anstecken. Und als Schula sagte: »Mit der Hilfe der Amerikaner geht der Krieg bestimmt bald zu Ende«, nickte sie, wie auch die anderen nickten.
    »Hitler kann nicht gegen die ganze Welt gewinnen«, sagte Rachel.
    Alle Mädchen stimmten zu, und Hanna schob die Hände hinter den Rücken und legte beschwörend ihre Zeigefinger über die Daumen, wie Janka es ihr beigebracht hatte, und sagte dreimal: »Hoffentlich!« Und als Rosa anfing zu singen, sang sie laut mit.
    Das war allerdings die einzige Freude, die das neue Jahr bescherte, ansonsten verlief dieser Winter nicht besser als der letzte, im Gegenteil, der Frühling ließ in diesem Jahr besonders lange auf sich warten. Und als er endlich kam, brachte er zwar die ersehnte Arbeit auf dem Feld, doch die Momente des Glücks und der plötzlich aufwallenden Lebenslust, die Hanna im letzten Jahr noch so oft empfunden hatte, wollten sich nicht einstellen. Obwohl die Tage länger und heller wurden, hatte sie das Gefühl, als bleibe es in ihrem Inneren weiterhin dämmrig und grau. Sie empfand eine fast schmerzhafte Sehnsucht nach Lachen, nach Unbeschwertheit.
    Statt mit Frühlingsgefühlen fing das Jahr 1942 damit an, dass Rasmus, der inzwischen einen halben Kopf größer war als sie, aufhörte, ihr heimlicher Spielkamerad zu sein. Er ging ihr aus dem Weg, und wenn sie eine gemeinsame Arbeit erledigen mussten, schaute er an ihr vorbei und sagte kein Wort. Es gab keine verstohlenen Blicke mehr, kein scheues Lächeln, keine hastigen, wie zufällig erscheinenden Berührungen der Hände. Hanna vermisste dieses Spiel, das sie für sich »Hin-und-her« nannte und das sie vor dem Winter so oft gespielt hatten, es hatte Farbe und Wärme in ihr Leben gebracht. Sosehr sie auch grübelte, ob sie vielleicht etwas Falsches gesagt oder getan hatte, es wollte ihr nichts einfallen.
    Am Samstag nach ihrem siebzehnten Geburtstag, der ihr diesmal besonders traurig vorgekommen war, machte sie mit Mira und Axlan einen Spaziergang zum Birkenwäldchen. Und da wurde ihr plötzlich klar, warum Rasmus sich so seltsam verhielt. Erst hörte sie ihn mit seiner neuen, tiefen Stimme lachen, dann trat Rasmus aus dem Schatten eines Waldwegs, Arm in Arm mit einem Mädchen aus dem Dorf. Hanna kannte sie, sie war die einzige Tochter eines wohlhabenden Bauern, ein ewig kicherndes, süßes Ding. Rasmus erstarrte, als er Hanna und Mira sah, und hörte schlagartig auf zu lachen. Die Röte stieg ihm ins Gesicht, seine abstehenden Ohren leuchteten. Mit einer ungeduldigen Handbewegung wehrte er Axlan ab, der schwanzwedelnd zu ihm hinüberlief und sogar trotz seines Alters versuchte, an ihm hochzuspringen, und zog sein Mädchen hastig und mit zur Seite gewandtem Gesicht an ihnen vorbei.
    Das war es also. Auf dem Rückweg war Hanna schweigsam und antwortete nur kurz, wenn Mira sie etwas fragte, und als Axlan sich an sie drückte, krallten sich ihre Finger so fest in sein Fell, dass er aufjaulte. Sie war gekränkt, fühlte sich plötzlich wieder so armselig und mickrig wie früher. Vor dem Einschlafen fragte sie sich, wie es sein konnte, dass sie enttäuscht über den Verlust eines Menschen war, der ihr in Wirklichkeit nie gehört hatte. Es ist bloß ein Spiel gewesen, sagte sie sich immer wieder, und das Spiel ist vorbei, so wie jedes Spiel einmal zu Ende geht. Warum tut es dann so weh?
    Die zweite Enttäuschung war, dass Schula die Gruppe verließ, um Jakob Korn zu heiraten, Inger Abrahamsons Bruder. Es war Sommer, als sie es den Mädchen mitteilte. Hanna erschrak. Schula war in diesen drei Jahren zu einem selbstverständlichen und, wie sie jetzt erst merkte, wichtigen Teil ihres Lebens geworden, ihr graute vor dem drohenden Verlust. Sie sah Schula zwar nur einmal in der Woche, viel seltener als Mira, und trotzdem … Sie hörte nicht mehr, was gesprochen wurde, sie ließ sich von ihren Gedanken treiben. Ich weiß, wie sich ihre Hand anfühlt, wenn sie einem über die Haare streicht, dachte sie, ich weiß, welche Blusen und Röcke sie besitzt und dass ihr Blau am besten steht, ich weiß, wie sie aussieht, wenn sie traurig ist, ich weiß, wie sich ihre Augenbrauen zusammenziehen, wenn ihr nicht gleich eine Antwort einfällt, ich weiß, wie sie sich am

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