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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Fünferreihen aufstellen. »Schneller! Schneller!« Ein heilloses Durcheinander entstand, als die verschreckten und übermüdeten Menschen versuchten, den Befehlen nachzukommen. Alle liefen ziellos herum, niemand wusste, wo er sich hinstellen sollte. Die SS-Bewacher wurden ungeduldig, sie schrien und schreckten auch nicht davor zurück, ihre Anweisungen mit Schlägen durchzusetzen.
    Hanna, Mira, Bella, Rachel und Rosa bildeten eine Reihe, sie hielten sich an den Händen und ließen sich auch nicht los, als der Zug sich quälend langsam in Bewegung setzte. Hanna lief zwischen Mira und Rachel. Nach der langen, schrecklichen Fahrt unter lauter fremden Menschen war es ein Glück, die vertrauten Hände zu spüren, Hände, die sie schon oft gehalten hatte, die sie mit geschlossenen Augen hätte beschreiben können: die breiten Hände Miras, kräftig und rasch zupackend, und die schmalen Hände Rachels, knochig, langfingrig, immer irgendwie zögernd, Hände, von denen Schula gesagt hatte, sie wären die einer Pianistin.
    Zuerst ging es mitten durch die Ortschaft. Die Straße, die zwischen niedrigen Häusern hindurchführte, war verlassen, als hätte ein Sturm sie leergefegt, nur da und dort war der Rücken eines Mannes oder einer Frau zu sehen, der in einem der Häuser verschwand. Auch die Fenster waren geschlossen, nur manchmal bewegte sich ein Vorhang und zeigte, dass jemand heimlich herauslugte. Ab und zu bellte ein Hund, aus einem der Häuser drang Schimpfen und das laute Weinen eines Kindes.
    Die SS-Bewacher trieben die Menschen mit Geschrei zur Eile an, aber nicht nur Hanna war viel zu erschöpft, um sich schneller zu bewegen, der Zug kam nur schleppend voran. Hanna sah, dass kleine Kinder von den Eltern getragen wurden, die größeren klammerten sich an den Kleidungsstücken ihrer Väter oder Mütter fest und ließen sich mitziehen. Besonders den alten Menschen fiel es sichtlich schwer, Schritt zu halten, aber wenn jemand stehen blieb, riskierte er es, von den Bewachern mit Schlägen und Stößen vorwärtsgetrieben zu werden. Manche waren so kraftlos, dass sie ihre Koffer nicht mehr tragen konnten, sie ließen sie einfach fallen. Dann bückte sich ein Nachbar, vielleicht der Sohn oder die Tochter, hob das Gepäckstück auf und schleppte es zusätzlich zu seinem eigenen weiter. Manchmal blieb ein Koffer aber einfach liegen und zwang die Nachfolgenden, mühsam über das Hindernis hinwegzusteigen. Als in der Reihe vor ihnen eine alte Frau ihren Koffer fallen ließ, stolperte Hanna darüber, aber Mira und Rachel hielten sie fest, sodass sie nicht stürzte.
    Der Fußmarsch zum Ghetto kam Hanna unendlich lang vor, viel länger, als er tatsächlich gedauert haben konnte, denn die Entfernung vom Bahnhof Bauschowitz nach Theresienstadt betrug nur knapp drei Kilometer, wie sie später erfuhr. Sie war von der schrecklichen Fahrt so müde, dass ihre Beine ihr nicht mehr gehorchen wollten, jeder Muskel ihres Körpers schmerzte und ihr Rucksack wurde immer schwerer. Doch wenn sie stehen blieb oder auch nur ein bisschen langsamer wurde, packten Mira und Rachel sie fester und zogen sie unerbittlich weiter.
    Inzwischen hatten sie die Ortschaft hinter sich gelassen. Rechts und links von der Straße standen Bäume. Das Laub war abgefallen, nur an manchen Zweigen hingen noch ein paar letzte Blätter, verdorrt und unendlich traurig. Als gäbe es keine Hoffnung auf einen nächsten Sommer, dachte Hanna. Dahinter erstreckten sich abgeerntete Getreidefelder, blasse Stoppeln in dunklem, feuchtem Boden. Es war diesig, der Himmel hing so tief über dem Land, dass der Horizont im Grau verschwand. Hanna konnte nicht erkennen, ob ferne Schatten Hügel waren oder nur aufeinandergetürmte Wolken. Schließlich tauchten andere Schatten auf, und als sie näher kamen, erkannten sie Mauern und Wälle. »Theresienstadt«, sagte eine Frau in der Reihe vor ihnen. »Das muss Theresienstadt sein. Gott stehe uns bei.«
    »Welcher Gott?«, sagte Mira leise.
    Als die Menschenschlange langsam durch das Tor kroch, fing es schon an zu dämmern.
    Erst sahen sie nur eine schnurgerade Straße, von der rechtwinklig andere Straßen abgingen. Das Bild wurde von Kasernen bestimmt. Und von Menschen, von vielen Menschen. Die Männer und Frauen trugen, wie Hanna auffiel, fast alle einen gelben Judenstern an der Kleidung. Es waren hagere, gebückte Gestalten, die sich seltsam träge bewegten. Manche zogen oder schoben Karren mit allen möglichen Lasten und auf einem

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