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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Rücksicht, besonders viel Unterstützung, nur weil du so schlechte Augen hast. Das ist doch nichts Neues, immer diese Ausreden. Das war doch schon in Ahrensdorf so, da hast du dich davor gedrückt, die Erbsen auszulesen, und wir mussten diese blöde und langweilige Arbeit für dich erledigen.«
    Hanna starrte sie verwirrt und hilflos an, und plötzlich meinte sie, Mira zu hören, diese hohe Stimme, mit der sie damals, auf ihrem Spaziergang mit Axlan, gesagt hatte: »Mir tut es so leid, jeder Streit mit Joschka tut mir leid, jedes freche Wort, das ich zu meiner Mutter gesagt habe, tut mir leid. Alles, alles, alles tut mir leid.«
    Damals hatte Hanna nicht gewusst, was sie sagen sollte, aber diesmal wusste sie es. »Schluss jetzt«, fuhr sie die beiden Streithähne an. »Seid ihr verrückt geworden?« Sie nahm den graugrünen Pullover und gab ihn Rosa. »Keine von euch beiden bekommt ihn. Und hört endlich auf mit der blödsinnigen Streiterei. Unser Leben ist schwer genug, wir können so etwas wirklich nicht brauchen. Streit um nichts und wieder nichts. Hört damit auf, verdammt noch mal. Es könnte euch später leid tun, alles, alles, alles könnte euch leid tun.«
    Zu ihrem Erstaunen widersprachen die beiden nicht, mit hängenden Köpfen fügten sie sich, und am Tag darauf gingen sie wieder miteinander um, als wäre nie etwas gewesen. Und als Rosa eine Woche später ein Paket vom Roten Kreuz bekam, brachte sie es Hanna und sagte: »Teil du.«
    Hanna teilte die Sachen möglichst gerecht auf, wie Mira es getan hätte, und sie legte, wie Mira es getan hätte, einen kleinen Vorrat an. Dann ging sie los, um einen Teil der Schätze gegen Suppe und Brot einzutauschen.
    Es war, als machte sich Mira in Hannas Kopf breit. Die Wanzen, Hanna, ihr dürft die Wanzen nicht einfach hinnehmen. Hanna zuckte mit den Schultern, sagte, wie sie es früher manchmal getan hatte: Was hilft das schon? Eine zerquetscht man, zwei neue warten. Trotzdem forderte sie Rachel, Bella und Rosa auf, den Kampf gegen die Wanzen wieder aufzunehmen. Sie gewöhnte sich auch daran, die anderen zum Waschen zu schicken, zur Desinfektion. Sie tat alles, was Mira getan hatte, ohne eigenen Willen, sie fühlte sich eher als Werkzeug. Und die anderen gewöhnten sich daran, ihr zu gehorchen, wie sie Mira gehorcht hatten.
    Ein neuer Alltag entwickelte sich, ein Alltag ohne Mira. Bella bezog Miras Pritsche, die beiden oberen wurden von zwei jungen Däninnen in Beschlag genommen, die froh waren, aus einer Ecke mit lauter alten Frauen wegziehen zu können. Die Tage vergingen im üblichen Einerlei, mal war es kälter, mal weniger kalt, aber immer froren sie, mal gab es Kartoffelsuppe, mal Suppe aus Rüben, aber das änderte nichts an ihrem ewigen Hunger.
    Hanna traf sich jetzt wieder regelmäßig mit Sarah. Sie sprachen nicht viel, aber auch ohne Worte wuchs die Freundschaft zwischen ihnen. Bei Sarah brauchte Hanna nicht stark zu sein, bei Sarah konnte sie über ihren schmerzenden Hintern jammern, über den Furunkel, der sich aus einem Wanzenbiss entwickelt hatte. Sarah drückte ihr den Furunkel aus und schmierte Zugsalbe darauf, die sie gegen eine Dose Erbsen eingetauscht hatte. Auch ihr falle es schwer, immer stark sein zu müssen, sagte sie, mit einer Mutter, der es zunehmend schlechter gehe. »Sie will nicht zum Arzt, sie sagt, ihr könne sowieso keiner helfen. Im Moment geht es ihr besser, aber ich glaube nicht an die Nerven. Sie ist krank, Hanna, sie ist wirklich krank.«
    Wenn sie mit Sarah zusammen war, hatte Hanna oft das Gefühl, als wären sie zu dritt, als wäre Mira bei ihnen. Das lag vielleicht daran, dass sie – anders als mit Rachel, Bella und Rosa – Sarah gegenüber nicht solche Hemmungen hatte, Miras Namen auszusprechen. Bei Sarah brauchte sie nicht zu fürchten, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde.
    In Theresienstadt hatte die Zeit ihr übliches Maß verloren, sie war nicht mehr aufgeteilt in Stunden und Tage, in Wochen und Monate, sie war entweder überdehnt oder zusammengeschrumpft, Stunden dehnten sich zu Ewigkeiten, Tage flogen sinnlos vorbei wie Minuten. Als ziehe eine unsichtbare Macht die Zeit in die Länge wie ein Gummiband und lasse sie dann wieder zusammenschnurren, willkürlich, ohne dass ein Grund dafür zu erkennen gewesen wäre, ohne einen bestimmten Rhythmus. Hanna bemühte sich auch gar nicht, einen Rhythmus zu erkennen, die Zeit spielte keine Rolle, sie achteten nicht auf das Datum. Warum sollten sie auch? Schließlich

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