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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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nicht gestärkt für den Anblick seiner Gäste: Martin Standish, den ergrauten Riesen der Verlagswelt; Tilda, die silberhaarige Königin, die seine Frau war; Sylvia, die farblose Nymphe und zugleich ihre Tochter; George Colton, den Lektor des Verlages Standish Publishing, der seine gescheiten Augen hinter der funkelnden und randlosen Brille verbarg; Grace, seine Frau, eine vollschlanke ehemalige Schönheit mit wissendem Lächeln. Zum ersten Mal, seit sein erster Roman vor drei Jahren angenommen worden war, spürte Kerwin, dass diese aalglatten, überaus gescheiten und weltlichen Leute eine ganz andere Rasse darstellten. Er gehörte nicht mehr zu ihnen; er war ein Schwindler – und das alles wegen jener Fleischmasse, die er oben in seinem Gästezimmer versteckt hatte.
    Sie kamen herein, lachend und schwatzend, äußerten sich begeistert über dieses und jenes in seinem Wohnraum und waren so mit ihrem eigenen Witz und ihrer Unterhaltung beschäftigt, dass ihnen nicht auffiel, wie sehr er heute verändert war. Standish stürzte sich in die Wiedergabe der neuesten literarischen Anekdoten; Colton streute gelegentlich die letzten Verkaufszahlen von Kerwins Büchern ein. Mrs. Standish pries wortreich die Einrichtung des Raumes, während Sylvia fast ebenso wortreich Kerwin pries. Coltons Frau saß mit gefrorenem weisem Lächeln da und sagte nichts. Kerwin verteilte die Gläser; mechanisch lachte er über die Bonmots des Verlegers; ernsthaft nickte er, wenn Colton geschäftliche Dinge erwähnte. Nur Mrs. Colton, die stille, war aufmerksam genug, um zu fragen: »Ist irgendetwas los, Mr. Drake?«
    »Was soll denn los sein?« sagte er lächelnd. »Natürlich nichts. Darf ich Ihnen nachgießen?«
    »Ich hoffe nur, dass das, was ich hörte, nicht stimmt«, sagte Standish. »Über das Angebot, das Hollywood Ihnen gemacht hat, Kerwin. Erinnern Sie sich noch an Parkman, der damals Escape Before Dawn schrieb? Er hat seinerzeit nachgegeben, und letzte Woche erhielt ich von ihm einen Brief...«
    »Das hast du Mr. Drake bereits erzählt«, sagte seine Frau und klopfte ihm leicht auf die Hand. »Auf deine alten Tage fängst du tatsächlich an, dich zu wiederholen, Martin.« Wieder einmal sah sie sich im Zimmer um. »Mein Gott, ich kann mich über diesen Raum gar nicht beruhigen, Mr. Drake. Ich hätte schwören können, dass alle Junggesellen in ständiger Unordnung leben. Welch ein Jammer!«
    Colton lachte. »Mr. Drake macht den Eindruck eines sehr glücklichen Menschen, Tilda. Ich würde nicht versuchen, ihn zu ändern.«
    »Trotzdem«, sagte Mrs. Standish seufzend und berührte mit den Fingerspitzen die dünne Wachsschicht, mit der ihr silbernes Haar fixiert war. »Müttern heiratsfähiger Töchter gegenüber finde ich so etwas äußerst ungerecht.«
    »Aber Mutter!« sagte Sylvia Standish und wurde nicht nur rot, sondern lachte auch gleichzeitig. Schüchtern blickte sie zu Kerwin auf. »Wie Sie sehen, Mr. Drake, ist meine Mutter eine unverbesserliche Ehestifterin – besonders bei den Autoren meines Vaters.«
    Mrs. Colton kicherte, aber ihre klugen Augen schienen sich immer noch über Kerwins Nervosität zu wundern. Er goß sich sein Glas voll. Langsam stieg der Alkohol ihm zu Kopf. Nach einer Weile konnte er sich endlich entspannen und vergaß beinahe den unwillkommenen Besuch, den er in seinem Heim beherbergte.
    Die intime Party hatte gerade ihren Höhepunkt erreicht, als Grace Colton plötzlich in ihrem Sessel erstarrte und wie gebannt auf die Diele hinausblickte. Kerwin, der sich wortreich mit Sylvia Standish über die Bücher unterhielt, die sie als Kinder gelesen hatten, bemerkte es nicht. Als nächste erstarrte Mrs. Standish, wobei ihre Augen in dieselbe Richtung blickten. Die Gäste waren plötzlich verstummt, so dass Kerwin auf einmal feststellte, dass seine eigene Stimme als einzige noch zu hören war. Erstaunt sah er die anderen an und sagte: »Was ist denn? Was ist denn los?«
    Dann folgte er der Richtung ihrer Blicke und sah das Weib, das langsam die Treppe herunterkam.
    Sicherlich hatte Angela sich gelangweilt. Sie war es müde geworden. Gefangene des Gästezimmers zu sein, während von unten die verlockenden Geräusche der Party heraufdrangen. Daher hatte sie das einzige Kleid aus ihrem billigen Koffer geholt und sich hineingezwängt. Der Stoff war ein lebhaft roter Druck und das Kleid so eng, dass der seitliche Reißverschluss auf Halbmast stand. Ihr Make-up hatte sie dadurch aufgefrischt, dass sie einfach zwei weitere

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