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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Mervin. Gott allein weiß, wie lange es gedauert hat, bis ich dich fand, Schatz, und jetzt willst du mich doch hoffentlich nicht einfach wieder wegschicken? Vergiss nicht, dass ich deine Frau bin.«
    »Du bist nicht mehr meine Frau! Du hast mich verlassen – vor fünfundzwanzig Jahren!«
    »Schon – aber das war ein Fehler von mir. Ich war damals noch ein Kind, und was wusste ich schon? Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, wie du dauernd mit dieser alten klapprigen Schreibmaschine in der lausigen Küche herumsaßest.«
    »Hier kannst du nicht bleiben, Angela! Das geht auf keinen Fall!« ‚
    »Menschenskind, wenn ich an damals denke! Was war ich doch noch für ein einfältiges Kind, was, Mervin? Weißt du noch, wie ich dich immer drängte, du solltest dir eine Stellung suchen? Wie ich immer sagte, dass ich keine Lust mehr hätte, für dich mit zu verdienen, während du diese blöden Geschichten schriebst?«
    »Du verstehst mich nicht«, sagte er verzweifelt. »Ich habe heute Abend Gäste, Angela, wichtige Gäste. Sie können jeden Augenblick kommen.«
    »Wer hätte damals gedacht, dass doch noch etwas aus dir wird? Ich bestimmt nicht. Deswegen habe ich dich auch verlassen, Mervin, das weißt du. Ich meine, wenn ich damals gewusst hätte, dass du einmal reich und berühmt...«
    »Ich bin nicht reich!«
    »Oho!« sagte die Frau und lachte kehlig. »Mach mir doch nichts vor, Mervin, schließlich lese ich auch Zeitungen. Mein Gott, als ich dein Bild in der Zeitung sah, wäre ich vor Verblüffung beinahe in Ohnmacht gefallen. Wieso nennst du dich jetzt eigentlich Kerwin? Und nicht nur Kerwin, sondern auch noch Drake? Was ist das für ein Name?« Sie tätschelte seine Schulter. »Das ist sicher einer, den du dir selbst ausgesucht hast, Mervin. Der alte hat mir sowieso nie richtig gefallen. Mervin Goff. Ich hasste es, wenn die Leute mich Mrs. Goff nannten.« Sie merkte, dass er ihren Koffer ansah und lächelte. »Du brauchst dich gar nicht aufzuregen. Ich hatte mir nur vorgenommen, ein paar Tage zu bleiben. Mein Gott, ich bin doch kein Dummkopf, Mervin; ich habe nie die Absicht gehabt, gleich ganz zu dir zu ziehen. Das hat noch Zeit, bis wir alles geregelt haben. Bis dahin habe ich mir eine eigene Wohnung besorgt, in der 48th Street, nur drei Querstraßen von hier entfernt.«
    »Es gibt nichts zu regeln«, sagte er zähneknirschend. »Du hast mir gegenüber keine Ansprüche, Angela.« Er stand auf, ermutigt von ihrem versöhnlichen Ton. »Du warst es damals, die mich verlassen hat, und hätte ich dich finden können, wären wir schon lange geschieden. Also nimm jetzt deinen Koffer und verschwinde.«
    Das war für sie das Zeichen, zu weinen. Es war ein fürchterlicher Anblick. Die dicken Tränen wuschen tiefe Rinnen in ihre gepuderten Backen. Ihr mächtiges Kinn zitterte, und ihr fleischiger Leib erbebte bei jedem Schluchzen.
    »Angela, bitte«, stöhnte Kerwin.
    »Ich verschwinde nicht!« winselte sie. »Wenn du mich hinauswirfst, werde ich wiederkommen. Ich werde dir das Leben schwer machen, Mervin, du wirst schon sehen!«
    Er schlug eine Hand vor das Gesicht und drehte sich um, von quälenden Überlegungen wie gelähmt. Dann sah er sie wieder an und sagte: »Also gut; hör zu. Heute Nacht kannst du hierbleiben, aber nur heute Nacht. Morgen früh werden wir dann alles besprechen.«
    »Ach, Mervin!«
    »Rühr mich nicht an!« schrie er. »Geh sofort nach oben und in das erste Zimmer rechts. Das ist das Gästezimmer. Und ich wünsche, dass du dort bleibst. Ich wünsche nicht, dass du es auch nur für eine einzige Minute verlässt – verstanden? Ich habe heute Abend sehr wichtige Gäste und möchte nicht, dass man auch nur dein Atmen hören kann!«
    Sie nickte demütig. »Natürlich, Mervin.« Dann griff sie nach ihrem Koffer. »Diese Treppe hier?«
    »Ja! Und vergiss nicht, was ich gesagt habe.«
    »Nein, Mervin«, sagte sie.
    Ergeben blickte sie ihn an; dann raffte sie ihren Mantel um die Hüften und stieg die Treppe zum oberen Stockwerk hoch. Er beobachtete das Verschwinden ihres gewaltigen Hinterteils, der formlosen Beine, an denen die Strumpfnähte verrutscht waren, und der breiten Schuhe mit den abgelaufenen Absätzen; dann schüttelte er wütend die Faust himmelwärts. »O Gott!« flüsterte er. »Wie konntest du mir so etwas antun?«
    Er brauchte dringend einen Drink, und deshalb ging er zur Bar und goß sich ein Glas ein. Bis die Hausglocke wieder läutete, waren es drei Gläser geworden. Aber sie hatten ihn

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