Ein Clochard mit schlechten Karten
unter die schönen haselnußbraunen Augen.
„Sind Sie das, oder ist das
Ihre Schwester?“
„Das bin ich. Ich hab keine
Schwester. Woher haben Sie das?“
„ Demessy hat es in seinem Overall vergessen, der bei Citroën hängt. Nicht sehr galant,
aber vielleicht ist ja nichts mehr zwischen Ihnen.“
„Zwischen uns? Was soll denn
zwischen uns sein?“
„Tun Sie nicht so naiv. Sie sind
aufgeklärt genug, um zu wissen, was zwischen einem Mann und einer Frau sein
kann.“
„Zwischen uns war nie was.“
„Und trotzdem haben Sie ihm das
Foto gegeben? Sie sind so gut wie nackt... Auf dem Foto.“
„Ich hab’s ihm nicht
gegeben...“
Sie schob ihre Hand in den
Blusenausschnitt und strich sich über die Schulter. Wenn sie das inspirierte...
„Er hat’s mir geklaut.“
„Ja, ja!“
„Wirklich, er hat’s mir
geklaut! Vor einiger Zeit hab ich eine kleine Brieftasche verloren. Auf der
Treppe oder im Hof, was weiß ich. M’sieur Demessy hat sie gefunden und mir gebracht. Außer etwas Geld
und dem Personalausweis waren mehrere Fotos drin. Dies hier zum Beispiel.
Damals hab ich gar nicht bemerkt, daß es fehlte. Aber jetzt...“
„Also hat er’s sich einfach angeeignet?“
„Sonst wär’s ja nicht in seinem
Overall gelandet! Ich schwöre Ihnen, ich habe ihm niemals irgendein Foto
gegeben, weder das da noch ein anderes. Warum sollte ich?“
„Und warum sollte er Ihnen eins
klauen?“
Sie lächelte schwach. Ein
trauriges Lächeln, beinahe angewidert. Hätte ich ihr gar nicht zugetraut.
„ M’sieur “,
sagte sie, „Sie sind doch aufgeklärt genug, um zu wissen...“
„Wie Sie“, bemerkte ich.
Sie zuckte die Achseln.
„Vielleicht. Vielleicht sieht’s
aber auch nur so aus.“
„Vielleicht macht das die Rue
de la Saïda , die Umgebung ohne Horizont, in der Sie
leben?“
Sie sah mich erstaunt an. In
ihren Augen schimmerte so was wie Hoffnung.
„Können Sie sich in mich
hineindenken, M’sieur ?“
„Ich versuch’s.“
„Dann sind Sie der einzige. Die
andern mit ihrem Klatsch und Tratsch, den Gerüchten... Hören Sie, M’sieur . Sie wissen, wer ich bin. Und wenn Sie meinen Namen
kennen, dann haben Sie auch bestimmt ‘ne Menge über mich gehört, oder?“ Ich
zuckte die Achseln.
„Lassen Sie die Leute doch
reden. Das ist doch ihr einziger Spaß.“
„Zum Teufel mit denen...“ Sie
musterte mich mit ihren feuchten Augen. „Sie sind nett, M’sieur .
Überrascht mich nicht, daß Sie ein Freund von Demessy sind. Der ist auch nett.“
„Ist er anders als die andern?“
„Völlig anders.“
„Um auf das Foto
zurückzukommen... Das war für ihn wohl so was wie’n tragbarer Sonnenstrahl, hm?“
Sie mußte lachen.
„Also, Sie haben ‘ne Art sich
auszudrücken, wirklich! Sonnenstrahl! Ta , so was
Ähnliches. Sie kennen seine Frau, nicht wahr?“
Hortenses Unauffälligkeit fiel
aber auch jedem auf. Wurde mir so langsam peinlich.
„Übrigens“, fügte Jeanne hinzu,
„sieht so aus, als hätte er sie sitzenlassen.“
„Hab’s heute morgen gehört. Dann wissen Sie’s also auch?“
„Bei uns spricht sich so was
schnell rum.“
„Was halten Sie davon?“
„Ich halte mich vor allem raus
und überlasse es den andern, irgendwas davon zu halten. Die haben sowieso
nichts Besseres zu tun...“
„Haben Sie denn vielleicht auch
gehört, wohin er gegangen sein könnte? Ich muß ihn nämlich unbedingt finden.
Deswegen war ich heute in der Rue de la Saïda .“
„Woher soll ich wissen, wohin
er gegangen ist?“
„Wenn Sie seine Geliebte wären
Sie machte eine ungeduldige
Bewegung.
„Wie oft soll ich Ihnen noch
sagen...“
Klang ziemlich echt.
„Schon gut“, unterbrach ich
sie. „Regen Sie sich ab. Wenn Sie seine Geliebte wären, wären Sie nicht hier.
Und wenn Sie hier wären, dann mit ihm...“
„Freut mich, daß Sie das
sagen“, bemerkte sie ironisch. „Freut mich, daß Sie das freut“, gab ich zurück.
„Noch eine letzte Frage, und wir reden nicht mehr drüber. Hat Demessy sich jemals Geld von Ihnen geliehen?“
Sie riß ihre Augen weit auf.
„Soll das ‘n Witz sein?“
„Ja. Aber antworten Sie bitte
trotzdem.“
„Wie sollte er sich von mir
Geld leihen? Ich bin ständig blank.“
„Wie wär’s mit arbeiten, so zur
Abwechslung?“
Sie sah mich böse an.
„Prima, halten Sie mir ruhig
‘ne Moralpredigt.“
„Ach was!“
„Ach was“, äffte sie mich nach.
„Im Moment arbeite ich nicht. Aber bis vor acht Tagen hab ich noch gearbeitet.
Und
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