Ein Clochard mit schlechten Karten
gefunden?“
Keine Antwort. Wir gingen zu
meinem Dugat und setzen uns rein. Ich knipste die
Innenbeleuchtung an.
„Und nun?“ ermunterte ich ihn.
Petit-Louis räusperte sich
geräuschvoll und schüttelte sich einen Tropfen von der langen Nase.
„Also“, begann er. „Ich hab
nichts gesagt, als die andern dabei waren. Die ziehen mich schon genug durch
den Kakao, weil ich diese Zeitschriften kaufe... und weil ich Kriminalromane
lese. Wohlgemerkt, es sind meine Freunde, und ich will sie nicht übers Ohr haun . Und... falls das hier Geld bringt, was ich Ihnen
zeige... werd ich’s mit ihnen teilen. Aber vorhin
wär’s mir peinlich gewesen. Als Rieussec — unser
Vorarbeiter — uns erzählte, daß ein Privatflic nach Demessy sucht, weil der geerbt hat, hab ich mir sofort
gesagt... wie gesagt, ich lese Kriminalromane... daß Sie uns ‘ne Menge Fragen
stellen würden. Und je mehr Sie erfahren, desto besser für Demessy .
Man muß eben der kleinsten Spur nachgehen, stimmt’s?“
„Stimmt genau.“
„Also bin ich auf die Idee
gekommen, in seinem Spind nachzusehen. Ich wußte, daß da noch ein Overall und
eine alte Jacke hängen. Und ich hab tatsächlich was gefunden!“
Ich streckte die Hand aus.
„Nur her damit!“ forderte ich
ihn auf.
Er gab mir einen ölbefleckten
Briefumschlag. Der Umschlag enthielt ein Flugblatt der Gewerkschaft, einen
kleinen Kalender und ein Foto. Die Ränder des Fotos waren beschädigt, die Ecke
links oben abgeknickt. Ein junges Mädchen im Bikini lachte mich aus einer
ländlichen Umgebung heraus an. Ich erkannte sie sofort: Jeanne Marigny , die blühende, lebenslustige, skandalumwitterte
junge Frau, der ich auf der Außentreppe in der Rue de la Saïda begegnet war.
„Große Geister treffen sich“,
sagte ich. „Vor zwei Minuten hab ich an eben dieses junge Mädchen gedacht.“
„Sie kennen Sie?“
„Kennen ist vielleicht
übertrieben. Und Sie?“
„ Seh das Foto nicht zum ersten Mal. Es ist Demessy mal aus
der Brieftasche gefallen. ‘Ne hübsche Puppe hast du
da, hab ich zu ihm gesagt.“
„Was anderes als eure Zizi , hm?“
„Ja, muß man zugeben“, gab er
zu. „Und er hat’s auch zugegeben.“
„Wer hat was zugegeben?“
„ Demessy ,
daß das seine Puppe ist.“
„Haben Sie ihn gefragt, ob er
mit ihr geschlafen hat?“
Petit-Louis grinste.
„Ganz schön neugierig, hm?“
„Und was hat er geantwortet?“
„Nichts. Hat nur gelacht. Aber
irgendwie komisch gelacht.“
„Hinterher erscheint einem
alles immer komisch. Vor allem, wenn einer lacht.“
„Vielleicht... Ist das was
wert?“
Er reckte das Kinn in Richtung
Foto. Ein paar Tropfen landeten auf dem Armaturenbrett.
„Tausend Francs fürs Finden und
weitere tausend, wenn ich’s behalten darf. Macht zusammen zweitausend, ‘n
reines Verlustgeschäft für mich.“
„Für mich nicht“, sagte er
grinsend.
Ich schob ihm zwei Scheine
rüber.
„Sonst noch was?“
„Im Moment nicht.“
„Dann vielen Dank, und bis
demnächst, wenn Sie wieder mal was finden.“
„O.k.“
Er stieg aus und hüpfte über
die Straße. Sah aus, als wollte er den Regentropfen ausweichen. Aber er hatte
keine Chance. Es regnete immer heftiger. Ich betrachtete eine Weile das Mädchen
auf dem Foto, las das Flugblatt — was schon weniger amüsant war — und schob
alles zusammen in meine Tasche. Dann saß ich noch ein paar Sekunden
bewegungslos da, Pfeife im Mund, Hände am Steuer. Der Regen hämmerte auf das
Wagendach. Klang wie: ,Gehst du schon so früh zum Bai Nègre , Jeanne?“ Derselbe Tonfall wie der des Halbstarken in
der Rue de la Saïda . Ich knipste die Innenbeleuchtung
aus und fuhr los. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte fünf nach acht.
6
Ich fuhr in die Rue de Vaugirard , um in der Brasserie Alsacienne in aller Ruhe Sauerkraut zu essen, die Spezialität des Hauses. Dann nahm ich
Kurs auf die Rue Blomet . Auf den feuchten
Bürgersteigen spiegelte sich melancholisch das Laternenlicht. Je später es
wurde, desto kälter wurde es und desto seltener wurden die Passanten. Als ich
den Bal Nègre betrat,
schlug es zehn. Eine tropisch heiße Musik empfing mich. Exotisch, frenetisch,
vielleicht etwas übertrieben für meinen Geschmack. Auf der Tanzfläche bewegten
sich Schwarze und Weiße mehr oder weniger im Rhythmus. Es roch nach Schweiß,
Tabak und Antillen-Rum.
Ich bezahlte den Eintritt bei
einem Mädchen mit Milchkaffee-Teint und krausem Haar unter einem Tuch. Ein
junger Schwarzer in einer
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