Ein Clochard mit schlechten Karten
Madame Marigny sah mich bedauernd an:
„Ich fürchte, dann haben Sie
sich umsonst hierher bemüht. Sie ist nämlich noch nicht zurück. Wie’s
ausgegangen ist, weiß ich nicht. Vielleicht weiß sie selbst es auch noch
nicht...“
„Was ist wie ausgegangen?“
„Sie hat sich auf eine
Zeitungsannonce gemeldet. Und heute nachmittag sollte ein Vorstellungsgespräch stattfinden.“
„Wann genau?“
„Das hat wohl den ganzen
Nachmittag in Anspruch genommen.“
„Wo?“
„Weiß ich nicht mehr. Hier im
Viertel, glaub ich. Soll ich mal in der Zeitung nachse ...“
„Nicht nötig. Sie ist also
nicht zu Hause?“
„Nein, Monsieur.“
„Ich muß sie aber unbedingt
sprechen... um zu wissen, woran ich bin. Verstehen Sie?“
„Ja, natürlich...“
Sie sah auf ihre Armbanduhr.
„Viertel nach acht. Für sie ist
das noch nicht spät. Ob sie zum Essen nach Flause kommt, weiß ich nicht... weiß
ich nie. Sie sagt es mir nie vorher. Dabei weiß sie doch, daß ich mir Sorgen
mache... nein, aber ein schlechtes Mädchen ist sie nicht... Das Haus... Sie
findet das Haus hier schrecklich. Vielleicht... Wenn wir was andres finden
würden... Vielleicht wäre sie dann wieder wie früher... nicht so eigenwillig...
so verrückt...“
„Ich werde dann wohl gehen“,
unterbrach ich sie. „Entschuldigen Sie noch mal die Störung. Ich komm etwas
später wieder.“
„Wie Sie meinen, Monsieur.“
Sie hielt mich nicht auf.
Nachdem sie mich hinausbegleitet hatte, kehrte sie wieder zu ihren Sorgen
zurück. Der Wind pfiff sein Lied dazu durch die Stäbe des Treppengeländers.
Ich stopfte mir eine Pfeife und
zündete sie an, wozu ich mehrere Versuche brauchte. Als ich gerade
hinuntergehen wollte, hörte ich jemanden eilig die Treppe heraufkommen. Die
Absätze klapperten über die Eisenstufen. Ich empfing das Mädchen sozusagen mit
offenen Armen. Sie erkannte mich in dem schwachen Licht einer nackten Birne.
Mein Anblick schien sie zu versteinern.
„Oh! ... Sie! ...“ stammelte
sie und warf einen ängstlichen Blick auf die Wohnungstür.
Sie hatte ihre
Kaninchenfelljacke gegen einen Regenmantel eingetauscht. So erinnerte sie an
die unvergessene Michèle Morgan in Hafen im Nebel. Ihr Kopftuch hielt
sie in der Hand, eine Haarsträhne hing ihr in die Stirn. Ob vom Treppensteigen
oder von etwas anderem, ihr Atem ging laut und stoßweise.
„Erinnern Sie sich an Ihren
Wunsch?“ fragte ich. „ Wir sollten
uns wiedersehn .“
„Ja, ja, natürlich.“
„Also, hier bin ich.“
„Waren Sie bei meiner Mutter?“
„Komm gerade von ihr.“
„Ach ja? Herzlichen
Glückwunsch!“ fauchte sie. „Oh, mir ist es doch scheißegal, was ihr von mir
denkt, alle! Hab mir gedacht, ich hätte Sie überzeugt, gestern, daß zwischen Demessy und mir nichts war. Aber Sie sind genauso wie alle
andern! Kommen hierher und quatschen meiner Mutter die Ohren voll mit
Verdächtigungen und Vermutungen.“
„Halten Sie die Klappe“,
knurrte ich sie an. „Ich habe Ihrer Mutter gesagt, ich sei wegen einem Job
hier. Von Demessy kein Wort. Dabei bin ich genau
deswegen hier. Muß Sie dringenst wegen Demessy sprechen. Hören Sie! Ihre Mutter wartet zwar auf
Sie, aber sie ist dran gewöhnt, daß Sie nicht pünktlich sind. Wird auch heute
nicht dran sterben. Also, kommen Sie mit... Keine Widerrede! Sonst marschieren
wir zusammen zu Ihrer Mutter in die Küche, und ich pack aus. Wird ein
Festessen, aber schwer zu verdauen für Sie.“
„Möchte wissen, was Sie noch
rausgefunden haben“, sagte sie.
„ ’Ne ganze Menge“, gab ich Auskunft.
„Na schön...“
Sie hob resignierend die
Schultern und schüttelte ihre Haarpracht zurecht , so
gut es der Wind zuließ.
„Na schön, bringen wir’s hinter
uns.“
Wir gingen zusammen hinunter.
Ich auf leisen Sohlen, sie auf ihren klappernden Absätzen. Klang richtig
wütend. Meinem armen Kopf tat das gar nicht gut. Dazu kam noch dieses schwere,
erotisierende Parfüm, das mir so langsam etwas zu vertraut wurde. Bei jeder
ihrer Bewegungen stieg es mir in die Nase. „Wie heißt es?“ fragte ich, als wir
in meinem Wagen saßen. „Wie heißt was?“
„Ihr Parfüm.“
„Es hat keinen Namen, nur eine
Nummer. 13.“
„Eine Glückszahl“, lachte ich.
„Warum nicht?“
„Jedenfalls etwas
außergewöhnlich.“
„Ja, man riecht’s nicht überall“, sagte sie mit kindlichem Stolz.
„Je nachdem. Manchmal riecht
man’s dort, wo’s einfach nicht hingehört.“
„Ach ja? Was Sie nicht sagen.
Zum
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