Ein Clochard mit schlechten Karten
Hüfthöhe. Wär aber gar nicht nötig gewesen. Rolle
und Laken waren auch so schon dreckig genug. Ich legte die Leiche auf die
Seite. Das Bett quietschte, was die Federn hergaben. Demessy hatte einen sauberen Schlag hinter die Ohren gekriegt. Erstklassige Arbeit.
Leider hatte er wohl keine Zeit gehabt, sie zu würdigen. Seine schöne neue
Jacke war an den Schultern zerrissen. Fast der gesamte Rücken war blutbefleckt.
Als Zugabe sozusagen. Gefiel mir überhaupt nicht. Genausowenig wie’s Demessy wahrscheinlich gefallen hatte. Nur
konnte der sich keine Theorie mehr ausdenken. Ich brachte die Leiche wieder in
ihre Ausgangslage und durchsuchte sie. Nichts. Leere Taschen. Eben ein
Totenhemd. Ich deckte meinen ehemaligen Bekannten wieder zu, so wie ich ihn
gefunden hatte.
In einer Zimmerecke stand ein wackliger
Schrank. Ich öffnete ihn. Im Fach oben lag ein Koffer. Ich untersuchte den
Inhalt. Klamotten, nichts als Klamotten. Das, was er am Tag seines
Verschwindens getragen hatte, außerdem Arbeitskleidung. Alles in hoffnungslos
beschissenem Zustand. Ich wußte beim besten Willen nicht, was das zu bedeuten
hatte. Zeit, darüber nachzudenken, blieb mir nicht. In den Taschen der Lumpen
fand ich natürlich nichts.
Ich schloß den Schrank, hob
meinen Hut auf, löschte das Licht und wagte mich wieder auf den Flur. Nichts
Verdächtiges zu hören. Ich zog die Tür vorsichtig zu und schloß ab. Den
Schlüssel nahm ich mit. Vielleicht konnte ich ihn gut gebrauchen, wenn ich
wiederkam... falls ich wiederkam. Ohne weitere Zwischenfälle gelangte ich auf
die Rue Payen . Öde und verlassen lag sie da,
gepeitscht von einem scharfen Wind.
Ich ging zu meinem Wagen,
klemmte mich hinters Steuer und atmete erst mal tief durch. Endlich alleine mit
meinem Schädelbrummen. Der amerikanische Luxusschlitten war weggefahren. Ich überlegte,
ob und wieviel die Sozialversicherung den
Hinterbliebenen einer wilden Ehe zahlt. Ich wußte es nicht. Schon verrückt, was
ich so alles nicht wußte. Ich zündete mir eine Beruhigungspfeife an und fuhr in
Richtung Rue de la Saïda .
Allerdings hatte ich nicht vor,
Hortense davon zu unterrichten, daß sie inzwischen Witwe geworden war.
8
Eine Witwe war es, die mir die
Tür öffnete. Die Trauerkleidung hatte sie aber schon vor einiger Zeit abgelegt.
Sie wirkte beinahe elegant durch ihre stolze Haltung. Die Ähnlichkeit mit der
Tochter war erstaunlich.
Ich zog meinen Hut. Der Wind,
der über die Außentreppe fegte, zerstrubbelte mir die
Haare. Angenehm kühlend für die Beule an meinem Hinterkopf.
„Guten Abend, Madame“, sagte
ich. „Madame Marigny , nicht wahr? Entschuldigen Sie
die Störung. Sie kennen mich nicht, aber dafür kenne ich ein wenig Ihre
Tochter. Und die würde ich gerne sprechen. Burma mein Name. Nestor Burma.“
„Ach!“ sagte sie mit einem
seltsamen Ton in der Stimme, leicht beunruhigt. Meine Begrüßung war mir etwas
schroff und energisch raus gerutscht. Bin eben ein Flic . „Ach! Treten Sie ein, Monsieur. Ich...“
Der Satz blieb unvollendet. Ich
betrat die saubere, aber wenig heitere Wohnung. Erinnerte mich stark an den
Haushalt Demessy , eine Etage tiefer. Madame Marigny musterte mich von Kopf bis Fuß. Dann seufzte sie
und fragte:
„Wollen Sie mit ihr sprechen,
oder... oder kommen Sie wegen ihr?“
„Sagen wir... beides“,
antwortete ich, milde lächelnd. „Hat sie Dummheiten gemacht, Monsieur?“
Ihre Augen sahen mich flehend
an.
„Dummheiten?“ wiederholte ich.
„Meinen Sie, Ihre Tochter könnte welche machen?“
„Was weiß ich? Sehen Sie,
Monsieur, ich bin immer in Sorge. Sie sind... Entschuldigen Sie, aber... Sie
sind kein junger Mann mehr... Also, ich will damit sagen, wenn ein junger Mann
nach ihr fragt oder sie abholen kommt... einer von ihren üblichen
Bekanntschaften... dann mach ich mir natürlich auch Sorgen. Ich hab immer
Angst, sie könnten Dummheiten machen. Aber bei jemandem wie Ihnen... na ja, ich
mach mir Sorgen, daß es etwas Ernsteres ist. Sie ist so eigensinnig, so frei...
Ach, sie ist kein schlechter Mensch, Monsieur. Hier kritisieren alle an ihr
herum. Sie benimmt sich ungezwungen, vielleicht etwas zu sehr, ich weiß es
nicht. Vielleicht sind alle auch nur neidisch, weil sie jung ist und schön,
aber... sie ist kein schlechtes Kind.“
„Ihre Sorgen sind ganz
überflüssig“, log ich. „Ich wollte zu Jeanne, weil ich Arbeit für sie habe.“
„Sie haben Arbeit für sie?“
„Ja.“
Das war sogar etwas weniger
gelogen.
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