Ein Clochard mit schlechten Karten
Boxchampion,
hatte ein urgemütliches Bistro, Ecke Rue Nélaton —
Boulevard de Grenelle . Gleich neben dem Vélodrome d’Hiver , vor der
oberirdischen Metrostation. Ich verspürte das Bedürfnis, ein Gläschen zu
trinken und dabei nachzudenken. Für diesen Zeitvertreib bot sich Routis ’ Bistro geradezu an.
An der Theke standen drei Typen
in weißen Kitteln mit blauen Aufschlägen. Wahrscheinlich Angestellte einer
Kfz-Werkstatt, die in der Arbeitspause einen Kaffee tranken. Aus dem Eßsaal drang lebhaftes Stimmengewirr. Die Wanduhr zeigte
kurz nach eins, aber ich hatte keinen Hunger. Der gutmütig-sympathische Routis saß an seiner Kasse und kümmerte sich so gut wie gar
nicht um das, was um ihn herum vorging. Die Brille auf der breiten Nase, las er
die Equipe.
Auch wenn Faroux , Benhamidh & Co. eine Nachrichtensperre über
Joséphines Abgang verhängt hatten, war doch ihr Auftauchen in der Wohnung der
Toten nicht unbemerkt geblieben. Ohne genau zu wissen, worum es eigentlich
ging, diskutierte die Thekenrunde das Ereignis. Allerdings ziemlich
leidenschaftslos: die Weihnachtsvorbereitungen oder die nächste
Sportveranstaltung würden diese bunte Nachricht aus ihrem Gedächtnis
verdrängen.
Ich setzte mich ans Fenster,
unter die riesige Vergrößerung eines Fotos mit Georges Carpentier, Pladner , Routis und anderen
ruhmreichen Größen der edlen Boxkunst . Sie
beglückwünschten sich gerade gegenseitig oder erzählten sich einen guten Witz.
Jedenfalls sahen sie recht fröhlich aus. Die Wände des Bistros waren tapeziert
mit Kampf- oder Glückwunschszenen jeden Formats. Von meinem Platz aus hatte ich
einen guten Blick auf die gußeisernen Pfeiler der
Metrostation. Ein Kellner mit ausgefeilter Beintechnik brachte mir das
bestellte Erfrischungsgetränk. Ich konnte Bilanz ziehen. Mal sehen, was dabei
rauskam.
Mitte Oktober entschließt sich Demessy widerwillig, eine Engelmacheriq aufzusuchen. Auf meine Empfehlung hin geht er zu Joséphine, handelt Preis und
Termin aus etc. Aber dann gibt er den Plan auf und... ja, von diesem Augenblick
an verhält er sich höchst sonderbar.
Er besorgt sich Geld, verwendet
es aber nicht für den ursprünglichen Zweck. Nach dem, was er der kleinen Jeanne Marigny erzählt, scheint all das mit seinem Besuch
bei der Wahrsagerin zusammenzuhängen. Sehr gut möglich, daß sein Geschenk, das
luxuriöse Parfümfläschchen samt Etui, aus Joséphines Umgebung stammt. Außerdem
scheint er, wenn auch nicht von sexuellen Qualen gepeinigt, so doch immerhin
unbefriedigt zu sein. Trotzdem begnügt er sich weiterhin mit Hortense,
unternimmt nichts Konkretes in bezug auf Jeanne,
begnügt sich hier wiederum mit einem Foto, das die Kleine nicht nur sehr
vorteilhaft, sondern auch in herausforderndem Bikini zeigt. Offenbar ist der
gute Demessy völlig durcheinander. Bei mir im Büro
verschlingt er Hélène geradezu mit den Augen, wie ein Verhungernder. Was ihn
jedoch nicht daran hindert, sich die Kellnerin Zizi entgehen zu lassen. Ich hab was Besseres, aber ich mach keinen Gebrauch
davon. Ist das nur so dahergesagt ? Oder
entspricht das den Tatsachen? Und ist dieses „Bessere“ vielleicht die Frau, die
erst ihn und dann auch noch Joséphine umgebracht hat? Die beiden sind
höchstwahrscheinlich von derselben Meisterhand getötet worden — dafür würde ich
meine Hand ins Feuer legen und meinen Kopf unter Wasser halten. Die Mörderin
benutzt das Parfüm Nr. 13. Sie schlägt mich in der zwielichtigen Absteige
zusammen. Hat sie vielleicht Demessy das Geld
besorgt, mit dem er sich neu einkleiden konnte? Aber was tut er in diesem Hotel
in der Rue Payen ? Er und seine geheimnisvolle
Mörderin? Unabhängig davon, was ein Paar in einem solchen Hotel tun kann...
(Aber dafür sucht man sich im allgemeinen romantischere Liebesnester!) Und Joséphine? Sie diente als Briefkasten für
irgendwelche arabische Untergrundorganisationen. Hat sie Demessy in eine Befreiungsgeschichte hineingezogen, bei der er nicht mitspielen wollte?
Ich hatte bei ihm in der Rue de la Saïda Spionageromane gefunden. Konnte sein, daß die ihn noch mehr
durcheinandergebracht haben, zusätzlich zu der Schwangerschaft seiner Frau.
Hm... Um wieder auf Joséphine zurückzukommen: warum dieses Verbrechen? Eine
Abrechnung unter Politischen schied aus. Die Kerle hätten alle Hinweise auf
politische Aktivitäten der Wahrsagerin vernichtet. Faroux neigte schlicht und einfach zu der Raubmordthese. Ich weniger. Sicher, der
Mörder hatte das Geld des
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