Ein Clochard mit schlechten Karten
sind.“
Kurz darauf kam sie mit ihrer
Tochter zurück. Jeannettes Gesicht war von der bösen Nacht gezeichnet. Aber so
wahr ich meine Steuern pünktlich zahle: das verlieh der Kleinen noch einen
zusätzlichen Reiz. Lächelnd gab sie mir die Hand. Die Mutter schielte zu uns
rüber. Aber dann rief ihre Hausarbeit sie in ein anderes Zimmer.
„Gibt es... gibt es was Neues?“
fragte Jeanne ängstlich.
„Nein. Läuft alles gut. Na ja,
nicht besonders schlecht. Werd’s Ihnen erklären. Bei
dem schönen Wetter sollte man spazierengehen . Kommen
Sie mit?“
Sie kam.
„Vergessen Sie nicht Ihr
Parfüm“, sagte ich.
„Mögen Sie’s?“
„Vor allem das Etui.“
Wir gingen die Rue de la Saïda hinunter zur Rue Olivier-de- Serres .
„Könnte ich’s für’n paar Tage haben?“ fragte ich.
„Natürlich. Aber was...“
„Kann man solche Etuis überall
kaufen?“
„Nein.“
„Also stammt es entweder von
einem Juwelier oder Schmuckhersteller oder wie das heißt, der so was für ‘ne
reiche Kundschaft anfertigt. Dann kann ich lange suchen und nichts finden. Oder
es ist eine Laune, eine teure Liebhaberei der Frau, die wir suchen. Mit etwas
Glück könnte ich... Glück haben.“
„Mit viel Glück, wollten Sie
wohl sagen.“
„Nehmen Sie mir nicht den
Schwung. Der ist sowieso nicht groß. Vielleicht steht auf dem Etui irgendein
Firmenzeichen...“
„Hab nichts bemerkt.“
Sie holte das goldene Etui mit
dem Diamant-Knopf aus der Tasche und reichte es mir. Ich steckte es ein.
An der Ecke Vaugirard-Convention gingen wir in das Café-Restaurant Rivalet . Ich hatte
Hunger und Jeanne auch. Wir setzten uns in eine stille Ecke. Während wir auf
das Essen warteten, sah ich mir das Etui genau an. Der Prägestempel war
geschickt angebracht, damit guter Ton und guter Geschmack nicht verletzt
wurden. Gleich daneben entdeckte ich noch einen zweiten Stempel, mikroskopisch
klein. Tatsächlich hätte man nur durch ein Mikroskop erkennen können, ob es
sich um eine Zahl, ein Symbol, einen Gott, einen Tisch oder einen Schlüssel
handelte. Ich ging zum Telefon und rief Hélène an, meine Sekretärin.
„Arbeit für Sie, mein Schatz“,
sagte ich. „Kommen Sie sofort zu mir ins Café de la Convention .
Nehmen Sie meinen Wagen.“
Hélène kam, als wir beim
Dessert waren.
„Setzen Sie sich“, forderte ich
sie auf, nachdem ich die beiden Schönen einander vorgestellt hatte. „Bestellen
Sie sich etwas, was Ihre hübschen Beine stärkt. Sie sollen nämlich spazierengehen .“
„Ach!“ rief meine Sekretärin
mit einem Seitenblick auf Jeanne. „Und Sie gehen schlafen?“
„Dazu bin ich zu alt.“
„Um schlafenzugehen?“
„Um spazierenzugehen .
Und auch um schlafenzugehen, wenn Sie die volle Wahrheit wissen wollen. Und
jetzt Schluß mit dem Quatsch...“ Ich gab ihr das Etui. „Es hat einen Stempel
und ein Zeichen. Klappern Sie alle Juweliere ab, um rauszukriegen, ob das was
zu sagen hat... Ich will wissen, wer das hergestellt hat, und für wen.“
„Weiter nichts?“
„Im Moment nicht.“
„Na prima! Resultat in einer
Stunde, nehm ich an?“
„So eilig haben wir’s nicht.
Der Mörder wird sich nicht umbringen, und Tote haben sowieso viel Zeit.“
Ihre nußbraunen Augen wurden noch eine Spur dunkler. „So ernst?“ flüsterte sie.
„Ja.“
Ohne weitere Fragen ließ Hélène
das Etui in ihre Tasche gleiten.
„Na gut“, sagte sie, „mal
sehen, was sich machen läßt. Soll ich die Metro nehmen?“
„Ja, oder nehmen Sie ein Taxi.
Ich brauch den Wagen. Aber schonen Sie ihre Beine! Sie werden sie noch
brauchen.“
Meine Sekretärin lachte:
„Vor allem werd ich Strümpfe brauchen. Zwei oder drei Paar gehen bestimmt dabei drauf...“
„Ich kaufe Ihnen so viele, wie
Sie wollen. Und dazu noch Strapse, falls Sie Wert drauf legen.“
„Aber mit Straß besetzt, hm?“
„Nein. Daran bleibt man nur
hängen.“
Lachend stand sie auf und ging
hinaus.
* * *
Jetzt konnte ich nichts anderes
tun, als auf das Resultat von Helenes „Spaziergang“ zu warten — falls es ein
Resultat geben würde. Andere Ideen hatte ich nicht. Keine Ahnung, wie ich dem
Durcheinander zu Leibe rücken sollte. Das einzig Konkrete war das Parfümetui:
Wer hatte es angefertigt? Wer hatte es in Auftrag gegeben? Alles andere war
sehr vage. Außer Jeanne Marigny , die ganz konkret vor
mir saß. Sie war es wert, daß ich mir ein paar Stunden freinahm .
„Nutzen wir das schöne Wetter
und gehen wir spazieren“, schlug
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