Ein Clochard mit schlechten Karten
Opfers mitgehen lassen. Aber das konnte genauso zur
Inszenierung gehören wie meine Visitenkarte in der Hand der Toten. In diese
ziemlich plumpe Falle war Faroux nicht gegangen.
Trotzdem sollte ich mit hineingezogen werden. Auf der Karte, die ich bei meinem
Besuch in der Zukunftsklause abgegeben hatte, war mein Beruf nicht vermerkt
gewesen. Dafür aber auf der, die Joséphine in der Hand hielt. Wer hatte sich
diese Karte besorgt, und wo? Ganz einfach (endlich was Einfaches!): die
einfache Putzfrau, Celina. Und wo? Auch ganz einfach: auf dem Treppenabsatz vor Jo’s Wohnungstür. Ich hatte zuerst eine Karte mit
Berufsbezeichnung rausgeholt, mich dann umentschieden und sie wieder in die Tasche geschoben. Hatte ich gedacht. Vielleicht war sie
zu Boden gefallen, auf die Fußmatte... Ja, Celina wußte was. Ich sollte sie mir
vornehmen. Nur konnte ich das im Augenblick nicht. Faroux wollte, daß über den Fall nichts bekannt würde. Also ließ er sie überwachen.
Ziemlich unklug, jetzt zu ihr zu laufen. Celina war deshalb im Moment so
unerreichbar wie die unbekannte Mörderin aus der Rue Payen .
Ich käute alles noch mal wider
und kam zu dem Schluß, daß die ganze Geschichte wirklich schlecht verdaulich
war.
Dann hatte ich eine Idee.
Vielleicht gab es eine Möglichkeit - eine hauchdünne Chance —
, an diese kostbar duftende Dame ranzukommen. Und dann würden wir uns in
aller Ruhe ins Bett legen können. Kein Geheimnis würde unseren Schlaf stören.
Reichlich blöd von mir, daß ich nicht früher draufgekommen war.
10
Ich verließ Routis ’
Café, versorgte mich an einem Zeitungskiosk mit den Abendausgaben, winkte ein
Taxi ran und ließ mich in die Rue de la Saïda fahren.
Unterwegs überflog ich die Zeitungen. Weder der Crépuscule noch France Soir oder Paris-Presse schrieben etwas über Demessys Leiche. Klar, jetzt
konnte es noch ‘ne Weile dauern, bis sie entdeckt wurde. Araber spielen im allgemeinen schon nicht mit offenen Karten. Warum sollten
sie wegen eines toten Christen ihre Taktik ändern und die Flics auf noch krummere Gedanken bringen? Sie hatten die Leiche im Zimmer Nr. 10
gefunden, sie ganz vorsichtig an Schultern und Füßen aus dem Hotel und in die
nahe Seine befördert. Diskret und unauffällig. Mir war nur noch nicht klar, ob
ich mich dazu beglückwünschen sollte oder nicht.
Der Taxifahrer sagte mit dem
Akzent eines Romanow-Obersten, wir seien angekommen. Heute hatte die Sonne die
Güte, sich zu zeigen. Weder sehr freizügig noch sehr heiß, aber doch offen
genug, um die Gegend hier etwas erträglicher erscheinen zu lassen. Für die
Fassade „meines“ Hauses samt Eisen-Außentreppe reichte es jedoch nicht: das
gleiche düstere Bild. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß ich, bitte,
nicht Hortense Demessy in die Arme laufen möge. Ich
konnte und wollte sie noch nicht informieren; wer noch ‘n paar Informationen
brauchte, war ich! In der vierten Etage läutete ich bei den Marignys ,
Mutter und Tochter. Die Mutter öffnete mir.
„Oh! Guten Tag, Monsieur
Burma“, begrüßte sie mich. „Kommen Sie doch bitte rein.“
Offenbar war ich ihr
sympathisch. Mal ‘ne Abwechslung von denen, die mich nicht riechen können.
„Ich würde gerne Ihre Tochter
sprechen“, sagte ich, nachdem ich eingetreten war.
„Wegen der Arbeit, die Sie für
Jeannette haben?“
„Ja.“
„Tja, wissen Sie... Wir haben
eine Zusage bekommen... von dem Büro, wo sie gestern war. Am 2. Januar kann sie
anfangen.“
„Macht nichts. Ich möchte
trotzdem mit ihr sprechen.“
„Sie steht gerade auf. Ist noch
ziemlich mitgenommen. Heute nacht ist sie zu einer unmöglichen Zeit nach Hause gekommen. Dann hat sie sich die
ganze Nacht unruhig hin und her gewälzt.“
„Ich möchte trotzdem mit ihr
sprechen“, wiederholte ich.
Sie drohte mir affektiert:
„Sie benehmen sich so
ungeduldig und aufdringlich wie ein Liebhaber. Wissen Sie, daß Jeannette im
Schlaf gesprochen hat? Dabei hat sie mehrmals Ihren Namen gesagt... Ich dachte,
Sie kennen sie nur flüchtig.“
„Wir haben uns zweimal gesehen.
Und daß sie im Schlaf meinen Namen gesagt hat... Das tun viele Frauen. Burma
heißt nämlich auch einer, der Perlen, Diamanten und Halsketten verkauft. Auch
wenn das nur unechtes Zeug ist, sieht’s ganz gut aus. Viele werden sich nie
echten Schmuck leisten können. Deshalb müssen sie sich auch tagsüber mit
Imitationen begnügen.“
„Sie erzählen komische Sachen, M’sieur ... Ich sag ihr, daß Sie da
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