Ein Clochard mit schlechten Karten
nochmal... Ja, Mademoiselle . Dann
rief ich Hélène zu Hause an. Sie wollte gerade die Arbeit wiederaufnehmen.
„Wie sieht’s aus?“ fragte ich.
„Verdammt nochmal!“ schimpfte
meine hübsche Sekretärin. „Sie müssen mir schon etwas Zeit lassen. Meinen Sie,
das wär so leicht?“
„Nein, mein ich nicht.“
Auch wer seine Hände in den
Schoß legt, muß nicht immer untätig sein. Ich verbrachte den Tag damit, Sprit
zu verfahren. Immer auf der Suche nach dem zweifarbigen Schlitten. Völlig
bescheuert, aber das gab mir das Gefühl, etwas zu tun. Geschlagene zwei Stunden
kurvte ich am Pont Mirabeau rum. Vielleicht tauchte ja der Straßenkreuzer
wieder auf... Dann würde ich ihm unauffällig folgen und dann... Na ja, der
zweifarbige Wagen war weit und breit leider nicht zu sehen.
Ich legte mich früh ins Bett.
Mein Wecker ging sowieso vor.
* * *
Der nächste Morgen war
unfreundlich und kalt. Ein Tag, um in die Rue de la Saïda zu fahren. Ich mußte Hortense Demessy berichten, daß
es nichts zu berichten gab. Aber ich konnte sie schließlich nicht unbegrenzt
warten lassen. Die Ärmste glaubte sonst noch, sie wäre geboren worden, um im
Stich gelassen zu werden. Doch bevor ich mich auf den Weg machte, versuchte
ich’s ein drittes Mal bei der Präfektur. Ausgeruht und gelassen saß mein
Bekannter wieder hinter seinem Schreibtisch.
„Hier Nestor Burma“, meldete
ich mich. „Ein kleines Weihnachtsgeschenk, bitte.“
„Ja’“
Ich nannte ihm das Kennzeichen des
zweifarbigen Straßenkreuzers.
„Ja.“
„Name und Adresse des
Besitzers.“
„Ja.“
„So schnell wie möglich.“
„Ja.“
Der Kerl konnte einfach nicht
nein sagen.
Ich fuhr zu Hortense, ihrem
Kummer und ihrem Gejammer. Nach dem Gespräch war ich einigermaßen deprimiert.
Es graute mir schon vor dem Tag, an dem ich ihr sagen mußte, daß sie schon seit
einiger Zeit Witwe war. Vielleicht würde ich dann zum Ausgleich etwas Geld
mitbringen. Denn anscheinend hatte Demessy bei
krummen Sachen seine Hand im Spiel gehabt. Sollte doch mit dem Teufel zugehen,
wenn ich nicht wenigstens einen Teil davon den Hinterbliebenen, Mutter und
Kind, zukommen lassen konnte! Aber vorher gab’s noch ‘ne Menge zu tun. Und aus
diesem Grund mühte ich mich weiter ab. Das heißt, ich wartete, wartete,
wartete.
* * *
Der Name des Platzes — Place de Breteuil — verrät nicht, daß damit ein gewisser Le Tonnelier geehrt werden soll, Minister am Hof von Louis XV
oder XVI. Auf der Seite mit geraden Zahlen, nicht weit von der Rue Rosa-Bonheur
(wann würde ich mein rosa Glück finden?), fand ich das prachtvolle Haus, so
prachtvoll wie beinahe alle Häuser in dieser Gegend mit Blick aufs 7.
Arrondissement. Luxus färbt ab. Das Haus, das ich ansteuerte, war vornehm und
wohlanständig. Kein ruhestörender Lärm nach zehn Uhr. Und vorher: Keine Hunde,
keine Katzen, und schon gar keine Miezen!
Sah so aus, als würde sich das
Blatt wenden. Kaum fuhr ich von der Avenue de Saxe auf den Platz, als ich die
bekannte zweifarbige Vanille-Limousine sah. Ich parkte meinen Dugat in einiger Entfernung und ging schnurstracks auf das
Prachthaus zu. Dort klopfte ich an das Fensterchen der Conciergesloge .
„Entschuldigen Sie“, sagte ich
entschuldigend. „Wissen Sie, ob Monsieur und Madame Laurédant zu Hause sind? Monsieur und Madame oder Monsieur oder Madame.“
Gegen Mittag, als ich schon an
der Zuverlässigkeit meines Beamtenbekannten zu zweifeln begann, hatte er mich
angerufen, die gewünschte Information auf den Lippen. Der Besitzer der
Luxuslimousine hieß Gabriel Laurédant und wohnte an
der Place de Breteuil .
„Sie sind beide zu Hause“, gab
die Concierge Auskunft und kaute weiter an dem, was sie gerade im Mund hatte.
„Fünfte Etage.“
Ich sah auf meine Armbanduhr,
so als bemerkte ich zum ersten Mal, daß ich so’n Ding überhaupt trug.
„Oh, ich wußte nicht...
Vielleicht störe ich sie und... Am besten, ich komme später nochmal wieder.“
„Von mir aus“, murmelte der
Hausengel, froh, wieder in Ruhe und am Tisch essen zu können.
„Vielen Dank, Madame...“
,Und vor allem vielen Dank“, fügte
ich in Gedanken hinzu, ,daß Sie mir verraten haben, was ich wissen wollte: ob Laurédant verheiratet ist oder nicht!“
In einem Bistro nebenan bezog
ich Posten. Den Vanille-Wagen behielt ich immer im Auge. Nur die Fahrbahn
trennte uns. Die Zeit verging, aber jetzt konnte ich mir Geduld leisten. Ich
war nahe am Ziel. Es sei denn...
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