Ein Clochard mit schlechten Karten
so als wollte ich die Straßen beschatten. Genauer gesagt, ich
nahm Kurs auf den Frachter aus dem Norden. Es pfiff ein kalter Wind, vermischt
mit ‘ner Art Schneeregen. Die Cafés warfen ihr Licht auf Bürgersteige und
Fahrbahnen. Durch die Scheiben sah man die schemenhaften Umrisse der Gäste. An
der Ecke Quai de Javel -Rue Balard fiel, wie aus einem Kellerloch, das Licht des Restaurants der Drei Stufen — zu
dem eine Treppe mit fünf Stufen hinunterführte, wenn ich mich nicht verzählt hatte.
Abgesehen von dem Licht der Cafés lag der Platz vor dem Pont Mirabeau verlassen
da. Hin und wieder hörte man das Geräusch von Reifen oder das Brummen eines
Motors aus einer der Seitenstraßen. Aus der Rue de la Convention tauchte ein Wagen auf und fuhr über die Brücke. Nach ein paar Metern betätigte
der Fahrer die Lichthupe. Weiß der Teufel warum!
Ich gelangte über den Abhang
zwischen Eisenbahnlinie und Seine an das Ufer. Von der reichen Seite des 16.
Arrondissements winkten die erleuchteten Fenster herüber. Das Licht flimmerte
auf dem Wasser wie ein Schifferklavier in Seenot. Neben der Seine schlängelte
sich ein lächerliches Rinnsal unter einem Brückenbogen hindurch. Die Statue des
ersten Brückenpfeilers hielt ewige Wache. Drohend richtete sie ihre riesige
Harpune aufs Wasser. Wartete sie darauf, daß irgendeine Leiche angeschwemmt
wurde?
Die düstere Stille wurde nur
von einem leichten Plätschern unterbrochen: Wellen schlugen gegen die Quaimauer und gegen den dickbauchigen Frachtkahn aus dem
Norden. Das entfernte, wie unwirkliche Rumoren der großen Stadt endete hier,
zwischen den Bergen von Alteisen, den leicht schaukelnden Schiffen, einem
abgestellten Lastwagen und huschenden sowie starren Schatten.
Auf dem festgemachten Kahn ließ
der Wind eine Fahne oder Wäsche auf der Leine flattern. Ich ging näher ran. Der
Köter gab Laut. Ob der nie heiser wurde? Sein Gekläffe beeindruckte aber niemanden. An Bord blieb alles dunkel. Der Frachter schlief,
von den Wellen sanft geschaukelt.
Ich machte kehrt. Schließlich
wollte ich den Kahn nicht im Sturm nehmen. War nur mal so vorbeigegangen, ohne
was Bestimmtes zu suchen. Höchstens die fehlende Inspiration. Ich stieg wieder
zum Pont Mirabeau hinauf, Pfeife im Mund, hinter mir die feindliche Dunkelheit
und das Hundegebell, das immer leiser wurde.
Schlurfend (wie ein Clochard)
bog ich in die Rue Payen ein. Mein Ziel war das
Bistro-Hotel garni (mit Leiche) von Ahmed, dem exotischen Fettkloß. Durch die
geschlossenen Fensterläden drang gelbes Licht sowie verhaltener Lärm. Verhalten.
Sehr verhalten.
Faulte Demessy in seinem Zimmer Nr. 10 ruhig vor sich hin? Oder hatte man die Leiche
inzwischen abtransportiert? Ein seltsames Haus. Ich sollte es mir mal näher
ansehen.
Alles klar, Nestor? Du bist ein
Clochard. Ein besoffener Clochard, falls nötig. Mach’s gut, gib dein Bestes! In
dieser Baracke kann man bestimmt ‘ne Menge interessanter Dinge sehn. Vielleicht
auch die Leiche, falls sie noch da ist.
Ich schlich durch den
Nebeneingang in den schmalen, feuchten Hausflur. Der Gestank war genauso
mächtig, gemischt und ekelerregend wie bei meinem ersten Besuch an diesem
idyllischen Ort. Nur die Duftnote, die ich befürchtet hatte, war nicht dabei.
Ich näherte mich dem Fürstenzimmer des Hauses und lauschte, ‘ne alte
Angewohnheit von mir. Nichts. Kein Ton. Ich zog den Schlüssel aus der Tasche,
den nagelneuen Schlüssel, den Demessy extra für Wanda
hatte anfertigen lassen. Vorsichtig öffnete ich die Tür.
Ein Gestank wie im
Raubtierkäfig schlug mir entgegen. Meine Hand suchte den Lichtschalter und begegnete
dort einer anderen Hand. Mit einem „Klick“ wurde das Zimmer in helles Licht
getaucht.
Man hatte keine Mühen und
Kosten gescheut. Jedenfalls in Bezug auf Glühbirne und Vorhang. Die Birne ließ
kein Eckchen im Dunkeln. Vor dem Fenster hing ein Stoffetzen aus dem Morgenland. Aber der Rest der Einrichtung...! Anstelle des einen Bettes
standen nun zwei Flohkisten da. In einer Ecke lag zusätzlich noch ein
Strohsack. Mußte wohl für den Kerl bestimmt sein, der so freundlich gewesen
war, das Licht anzuknipsen: ein junger Araber mit markanten Gesichtszügen und
kohlschwarzen Augen, so durchdringend wie ‘n Dosenöffner. Er trug eine
Winterjacke, zugeknöpft bis unters Kinn, und eine blaue Hose.
Auf den Betten lagen zwei
Männer derselben Herkunft. Einer von den beiden hatte sich halb aufgerichtet
und sah mich an. Sein Blick war genauso stechend wie der
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