Ein cooler Typ aus der Hölle
Volker, „dass es eine europäische Kunstströmung war — die
Gegenbewegung zu den großen und teils schwülstigen Formen von Barock und
Rokkoko. Grob berechnet etwa die Zeit von 1750 bis 1830. Der Klassizismus hat
auch die Architektur, die Hersteller von Möbeln und Keramiken beeinflusst. Von
Land zu Land war die Kunstrichtung natürlich unterschiedlich — je nach dem
Wesen der Menschen. Berühmt sind vor allem klassizistische Bauten. Nach 1830
kam dann die Romantik ans Ruder.“
„Bist aber total gut
informiert“, sagte Klößchen. „Ich weiß nur, dass die Villa Josefine echt
klassizistisch ist. Also denkmalgeschützt und wertvoll. Hatte die ganze Zeit
total das Gefühl, dass ich von der Villa schon gehört habe. Stand aber auf dem
Schlauch. Wohl wegen der Kälte. Jetzt ist es mir eingefallen. Weil nämlich mein
Vater die Hütte mal kaufen wollte. Ist aber nicht zum Zuge gekommen. Er hat
dann die Jugendstil-Villa in der Gerber Straße erworben. Aber Mama wollte nicht
einziehen. Deshalb wohnen wir immer noch in der Eichen-Allee. Immerhin haben
wir dort ein Hallenbad südseitig und 5000 Quadratmeter Garten. Allerdings keine
Kunstrichtung in den Mauern.“
Karl grinste und sagte — ohne
Bosheit: „Postwirtschafts-wunderliche Sozialprodukt-Symbolik. Mit irre guter
Heizung und Geräusch abweisenden Fenstern.“
Tim hatte inzwischen den
anderen Teller ausgepackt. Er zeigte die gleichen Randornamente und ein
ähnliches porzellan-malerisches Motiv. Altes Russland mit Menschen und
Landschaft.
„Die gehören alle zu einem
Service.“
„Wenn es fünf wären, könnten
wir sie unter uns aufteilen“, griente Klößchen.
Gaby blickte strafend.
Tim furchte die Stirn, aber aus
anderem Grunde. Er dachte angestrengt nach, spürte, dass ihm die Lösung fast
auf der Zunge lag — und dann fiel es ihm ein.
„Amigos, der Künstler, der
diese Teller geschaffen hat, heißt Simeon Chiflar. In seiner Zeit — also vor
rund 200 Jahren — war er ‘ne große Nummer in der Keramik-Herstellung.“
Gaby schenkte ihrem Freund
einen großäugigen Blick. „Wusste gar nicht, Häuptling, dass du dich für
Porzellan interessierst.“
Er grinste. „Ist auch unter
meinen Leidenschaften die schwächste. Aber die Bekämpfung von Unrecht und
Kriminalität steht obenan. Deshalb weiß ich Bescheid über diesen dekorativen
Speckbrett-Ersatz. Der Verlust von 24 Tellern stand nämlich groß in der
Zeitung. Und da blüht Verdacht, weil man die Scherben nicht gefunden hat.“
„Heh!“, sagte Gaby. „Deine Rede
ist rätselhaft. Hilf mal denen auf die Sprünge, die nicht so leidenschaftlich
Zeitung lesen wie du.“
„Es geht um Vandalo, den
Zerstörer.“
Gaby machte sofort eine
hüftbetonte Schüttelbewegung, als werde sie von Eiswasser überrieselt. Karl
nickte wissend und ein wenig erschrocken. Volker und Klößchen aber zeigten
Mienen wie neugeborene Unschuldslämmer.
„Wer ist Sandalo?“, fragte der
Schoko-Freak.
„Vandalo!“, korrigierte Tim.
„Abgeleitet von Vandalismus, der Zerstörungswut. Kennst doch das Sprichwort:
,Wie die Vandalen hausen“. Das bezieht sich auf einen ostgermanischen
Volksstamm gleichen Namens, der im Jahre 455 die schöne Stadt Rom völlig
zerstörte.“
„Vor oder nach unserem
Zeitenbeginn?“, fragte Klößchen.
„Nach Christi Geburt.“
„Dann blieben also für den
Wiederaufbau bis heute nur etwa anderthalb Jahrtausend“, grinste Klößchen. „Das
ist knapp und erklärt, warum man sich als Tourist in Rom immer wie in einer
riesigen Baustelle fühlt.“
„Dann musst du mal nach Berlin
fahren“, meinte Karl. „Das ist ‘ne Baustelle.“
Volker führte aufs Thema
zurück. „Tim, du hast also in der Zeitung von einem ostgermanischen Vandalo
gelesen und...“
„Nein!“, unterbrach der
TKKG-Häuptling. „Natürlich kein Ostgermane, sondern... Also, in den Zeitungen
steht jede Woche was drin von einem Unbekannten. Von Vandalo. Jedes Mal ein
Horror-Bericht. Der Typ muss verrückt sein. Er dringt in Häuser ein, in Museen,
in Kunstgalerien, in öffentliche Gebäude und verwüstet wie ein Hurrikan mit
Kernwaffen-Ausrüstung. Dann legt er Feuer. Feuer ist immer im Spiel. Manchmal
zerstört er auch öffentliche Verkehrsmittel: abgestellte Bahn-Waggons oder
U-Bahn-Abteile. Aber da ist sich die Polizei nicht ganz sicher, ob das wirklich
auf sein Konto geht. Bei den Personenbeförderungs-Einrichtungen könnten auch
Trittbrettfahrer, also Nachahmer, die Täter sein. Der Verrückte
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