Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
denken.« Das hatte sie irgendwann einmal in der Vogue gelesen (obwohl sie vielleicht nicht gerade die typisch-mondäne Frau war, die man sich als Vogueleserin so vorstellt). Ich bin sicher, dass sie diesen Kaftan getragen hat, als sie jenen Satz sagte. Höchstwahrscheinlich hat sie dabei an ihrer Industrienähmaschine gesessen (die mir als Kind immer eine Heidenangst eingejagt hat – sie kam mir wie ein klapperndes Biest aus Metall vor) und genäht. Es ist schon seltsam, wie Kleidung, und hier insbesondere die Kleidung eines anderen Menschen, einen in Sekundenschnelle wie ein Geruch in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzen kann.
Mums ganzes Leben drehte sich um Stoffe. Vor unserem Bungalow tauchten immer wieder Menschen mit Meterware in den Händen auf, da sie Näherin war und normalerweise Vorhänge und Heimtextilien für einen Hungerlohn nähte. Die schlechte Bezahlung machte ihr jedoch nichts aus, da sie diese Arbeit, die Farben und die Beschaffenheit des Stoffs liebte. Außerdem konnte sie zuhause arbeiten, hatte keinen Chef vor sich und konnte ihr eigener Herr sein.
Ich habe keine Ahnung, wo ich klopfen oder klingeln soll. Hier ist alles so minimalistisch, dass es nicht einmal einen Türklopfer oder einen Klingelknopf gibt. Das ist die Art von Architektur, die es Adi früher immer angetan hat. Doch in letzter Zeit redet er nur noch von traditionellen Baustoffen und Nachhaltigkeit oder, alternativ, vom Schrebergarten – wenn es denn wirklich das ist, wohin er immer geht. Nur ungern möchte ich das Glas verschmieren. Und ein Steinchen an die Fensterscheibe zu werfen scheidet auch aus. Das hier ist kein Cottage, denn hier gibt es nichts, das irgendwie alt aussieht. Jetzt dringt durch die Fenster Gelächter zu mir nach draußen. Ich packe meine Flasche eisgekühlten Sauvignon blanc fester. Habe ich mir etwa die falsche Uhrzeit und den falschen Ort notiert? Einen kurzen paranoiden Augenblick lang überlege ich sogar, ob man mir einen gemeinen Streich spielt und es in Wirklichkeit gar keinen Reedby-Damen-Buchclub gibt. Gerade als ich an das Glas der Tür klopfe, die ich für die Haustür halte, höre ich Charlotte.
»Warten Sie schon lange hier? Kommen Sie doch herein!«, strahlt sie mich an. »Wir freuen uns immer sehr über frisches Blut in unserem kleinen Buchclub.«
Ich überreiche ihr den Wein. »Wie nett von Ihnen. Aber hat Ihnen denn niemand gesagt, dass es die Aufgabe der Gastgeberin ist, für Getränke und einen kleinen Imbiss zu sorgen? Das ist nur eine unserer vielen kleinen Regeln«, ruft sie übertrieben schrill.
»Was Regeln betrifft, bin ich nicht sonderlich gut«, murmele ich leise, während ich ins Wohnzimmer durchgehe. Der Boden mit den Eichendielen ist beeindruckend und mit unserem schmuddeligen Wohnzimmerteppich nicht zu vergleichen. Ich habe den Eindruck, an Bord eines Schiffes zu sein – oder eher eines Ozeanriesen, als ich durch das Wohnzimmerfenster direkt auf den Yare River hinunterblicke.
»Hört mal alle zusammen, das hier ist Laura Lovegrove, oder sollte ich lieber sagen, Cecily. Ich bin Lady Bracknell«, erklärt sie und lächelt mich an. »Hattie und Liz kennen Sie ja schon.«
»Ich dachte, Sie sind Charlotte?« Ich bin verwirrt.
Sie ignoriert meinen Einwand und fährt einfach fort. »So, meine Damen, jetzt ist unsere Besetzung komplett.«
Ich habe irgendeinen schlimmen Fehler gemacht. Schnell wende ich mich an Liz.
»Ich dachte, dies sei ein Buchclub«, flüstere ich ihr zu. »Was meint sie mit ›Besetzung‹?«
»Das ist eine kleine Überraschung, die sich Charlotte hat einfallen lassen. Sie fand, wir sollten einige Szenen aus dem Stück Ernst sein ist alles nachspielen. Keine Sorge, das ist nur eine von Charlottes kleinen Marotten. Für gewöhnlich landen wir dann bei einem ihrer Schultexte.«
»Die Sache ist nur die: Ich habe das Buch nicht zu Ende gelesen. Mir ist leider etwas Wichtiges dazwischengekommen, außerdem kann ich nicht schauspielern«, erkläre ich Liz und verziehe das Gesicht.
»Mach dir keine Sorgen – wahrscheinlich werden wir nur mit verteilten Rollen lesen«, beruhigt mich Liz und stupst mich an. Was aber auch nicht hilft – ich bin in Panik. Ich hasse es, schauspielern zu müssen.
»Cecily«, ertönt plötzlich eine Stimme aus dem Nichts. »Rotwein, Weißwein, ansonsten hätte ich auch Orangensaft oder Cranberrysaft anzubieten. Normalerweise habe ich keinen Cranberrysaft vorrätig, aber hier fange ich mir immer wieder
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