Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
Mum ganz besonders gut gelaunt war, sogar eine Brosche. Mum erzählte immer gern die Geschichte, als ich in die Vorschule kam und die Direktorin die Kinder fragte, ob sie noch Fragen hätten. Alles schwieg, nur ich fragte: »Wo ist denn die Verkleidungskiste?« Ob sich meine Kinder wohl später einmal an Phyllis’ Laden erinnern werden? Und werden sie ein Leben lang Süßigkeiten lieben?
Ich komme immer noch nicht mit der Vorstellung klar, dass Mum nicht mehr da ist. Drei Wochen vor Lillys Geburt ist sie gestorben. Ihr Tod kam zwar nicht überraschend, aber ich unterschied mich dadurch deutlich von meinen Freundinnen aus dem Geburtsvorbereitungskreis. Deren Mütter zogen nach der Geburt der Babys praktisch bei ihnen ein. Meine ehemalige Nachbarin Lotte hat sogar extra ihre Mutter aus Kopenhagen einfliegen lassen, die dann drei Monate geblieben ist! Aber, und das muss ich ihnen zugutehalten, meine Freundinnen haben sich rührend um mich gekümmert und haben mich in jeder freien Minute unterstützt, wo sie nur konnten. In London war das Leben deutlich einfacher, weil dort alle Freunde nur ein paar Minuten entfernt wohnten. Ich sollte mich jedoch besser auf meine Mädchen konzentrieren und darauf, ihnen eine gute Mutter zu sein. Kaum zu glauben, wie brav Daisy ist, bis sie plötzlich zu schreien beginnt.
»Süß! Süüüß!«, schreit sie, schiebt den Gurt beiseite und springt aus dem Buggy, wodurch dieser rückwärts gegen einen Zeitungsständer geschoben wird. Das wird gar nicht so leicht werden, mit ausreichend Süßigkeiten den Laden zu verlassen, um genug für die Arbeit zu haben, und obendrein Daisy und Phyllis gleichermaßen zu besänftigen.
»Ach, das ist nicht weiter schlimm«, winkt Phyllis ab. »Aber sehen Sie sie sich nur an: Sie ist Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Das stimmt zwar nicht, obwohl ich inständig wünschte, ich sei Daisy mit ihrem vollen blonden (kämmbaren) Haar und dem weichen, makellosen, glatten Teint wie aus dem Gesicht geschnitten.
Ich setze ein Lächeln auf, da ich innerlich total erschöpft und missmutig bin. Ohne mir großartig Gedanken über die Auswahl zu machen, kaufe ich pastellfarbene Süßigkeiten allein aufgrund ihres Aussehens ein. Einfach nur eine große Bandbreite an Farben und Formen, ganz gleich, wie das Zeug schmeckt. Dann meldet sich mein schlechtes Gewissen. Bin ich etwa eine Rabenmutter, weil ich Süßigkeiten kaufe, um sie zu malen, ohne dabei welche für meine Mädchen mitzunehmen? Schnell lege ich noch eine Packung Maltesers für Lilly dazu. Meldet sich bei Adi eigentlich auch manchmal während eines Arbeitsmorgens das schlechte Gewissen zu Wort? Sehr unwahrscheinlich. Darum kaufe ich auch noch eine dieser Schneekugeln. Die bekommt Adi nächstes Weihnachten in seinen Nikolausstrumpf. Bin ich eigentlich zu gemein? Jahrelang bin ich wegen Adi hinsichtlich der weißen Weihnachtsdeko Kompromisse eingegangen … Aber jetzt ist die Zeit gekommen für ein wenig Kitsch in unserem Leben.
»Wenn du dich wieder in den Buggy setzt, bekommst du eine Belohnung«, erkläre ich Daisy und greife auf das alte Bestechungsmittel zurück – das unterste Niveau der Kindererziehung. Aber manchmal geht eben kein Weg daran vorbei.
Ich halte mich am Buggy fest, und wir rutschen die eisglatte Straße hinunter. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie ein Auto auf uns zugeschlittert kommt. Schnell schiebe ich den Buggy in die nächste Einfahrt. So viel zum Thema »gefahrloseres Aufwachsen der Kinder auf dem Land«! Warum gibt es in Reedby bloß keine Gehwege? Mir wird klar, dass ich nicht wegen der Kälte so zittere, sondern wegen des Schocks, den mir das Erlebnis eingejagt hat.
Zurück im Marsh Cottage lasse ich diesen Zwischenfall lieber unerwähnt. Adi will meine Beschwerden und Klagen über das Leben auf dem Land nicht mehr hören, weshalb ich schon länger meine diesbezüglichen Gedanken für mich behalte. Denn ich weiß, dass er es in der Großstadt nicht mehr länger ausgehalten hätte. Ich schnappe mir meine Pantone-Farbtabelle und ziehe mich in mein Studio zurück, wo ich alle Brusho-Künstlerfarben, Tuben mit Acrylfarbe, Aquarell- und Ölfarben auspacke. Beim Anblick der bunten, leuchtenden Farben würde ich am liebsten in die Farben hineinbeißen. Sie sind meine wahren Süßigkeiten. Und haben dabei auch noch null Kalorien! Ich male Color-Rado-Farben auf Blätter; Zuckerwatterosa, Limone, Gelbtöne und einen Hauch von Violett. Ich hänge die Blätter zum Trocknen
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