Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
sich erhoben hat und auf die Bühne zusteuert.
»Herzlichen Dank, Hannelore. Und jetzt bitte einen großen Applaus für einen sehr erhellenden Vortrag!«
Mir fällt auf, dass Liz ganz blass geworden ist – offenbar hat Hannelore bei ihr einen wunden Punkt getroffen.
Im Anschluss an den Vortrag quetsche ich mich durch die Sitzreihen und geselle mich zu Liz.
»In diesem Anzug siehst du sehr steif aus«, stellt Liz fest und betrachtet mich skeptisch.
»Oh, das ist mein neues Ich«, scherze ich.
»Mir war die alte Laura lieber«, erwidert sie, und schon merke ich, wie ich erröte.
»Mir auch«, nicke ich. »Was wirst du über den Vortrag schreiben?«, frage ich.
»Declans Fotos nach zu urteilen werden wir einen tollen Artikel für die Lokalzeitung haben. Möglicherweise kann ich ihn sogar an überregionale Zeitungen verkaufen. Du weißt schon, mit einer Schlagzeile à ›Nach Stich und Faden‹.«
»Oder: ›Verflixt und zugenäht!‹«, schlage ich vor.
»›Doppelt genäht hält besser‹. Da sind viele Wortspiele möglich. Jetzt muss ich aber los und den Artikel schreiben. Stell dir bloß vor, ich kann mich jetzt ins Auto setzen und den Artikel auf meinem Laptop verfassen. Danach kann ich ihn dann sofort per Mail abschicken. Nicht zu vergleichen mit früher! Während meines Erziehungsurlaubs sind die technischen Möglichkeiten schier unglaublich geworden!«
Mir fehlt die Geduld, um mich in die Schlange für eine signierte Ausgabe anzustellen. Aber wie es aussieht, wird Hannelore für die nächsten Jahre als Sprecherin des Landfrauenkomitees fungieren können. Erst dann fällt mir eine ganze Reihe von jungen Frauen auf, die fast noch Mädchen sind. Sie sind jünger als ich, noch in den Zwanzigern. Offenbar hat Hannelore etwas angestoßen, an dem wir alle teilhaben wollen.
Hannelore und ich sind die Letzten, die gehen. Auf dem Heimweg rasen wir in den Sonnenuntergang hinein, als ginge es darum, die verlorene Zeit wieder einzuholen.
»Ich finde, es ist ganz gut gelaufen, oder?«, erkundige ich mich bei ihr.
»Doch, es war gut. Aber jetzt genug von mir. Was ist denn mit Ihnen, Laura? Was wollen Sie mit dem Nähen erreichen?«
»Ich habe das Gefühl, mich gerade an einem Scheideweg zu befinden«, höre ich mich sagen. Hannelores verrauchter Wagen und die Ereignisse des Abends verleihen mir das Gefühl, wieder jung zu sein. Alles erinnert mich an die Bars und Clubs aus meiner Studienzeit (obwohl ich selbst nie geraucht habe), die heutzutage alle hygienisch sauber und absolut rauchfrei sind. Das Leben ist so korrekt und brav geworden, doch dabei ist das aufregende Funkeln und Glitzern auf der Strecke geblieben.
»Warum befinden Sie sich an einem Scheideweg?«
»Ich will nicht mehr für Agenten arbeiten. Ich lasse mir Dutzende von Entwürfen einfallen, aber wenn ich Glück habe, verkaufe ich gerade mal einen davon. Und der wird dann auch noch von Fabrikanten in Entwicklungsländern produziert, die die Menschen dort ausbeuten. Nach dem Fernsehbericht sehen mich manche Dorfbewohner immer noch ganz komisch an. Mit dem Unterrichten verdiene ich meinen Anteil zu unserem Lebensunterhalt, aber mein eigentliches Interesse gilt dem Nähen – dem Herstellen von eigenen Kreationen.«
»Aber als Lehrerin sind Sie der Kontrolle des Staates unterstellt.«
»Nein, nein, so schlimm ist es auch wieder nicht«, lache ich. »Niemand will uns verhaften, zumindest noch nicht.« Doch da fällt mir wieder diese Big-Brother-Geschichte ein, als Curtis uns alle dazu gezwungen hat, gegenseitig die Klassenräume unter die Lupe zu nehmen.
»Da erwischen Sie mich auf dem falschen Fuß. Bevor ich nach England gekommen bin, habe ich drei Monate in einem ostdeutschen Gefängnis gesessen.«
»Entschuldigung, ich wollte nicht …« Da bin ich wohl so richtig ins Fettnäpfchen getreten!
»Ich habe an der Humboldt-Universität zu Berlin unterrichtet. Dort wurde jeder überwacht. Genauso, wie man Lehrer jetzt hier überwacht. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Sie sich nicht darüber beschweren. Sicherlich werden bald schon Überwachungskameras in den Klassenzimmern installiert, oder?«
Im ersten Augenblick denke ich, dass Hannelore ein wenig paranoid ist. Doch dann wird mir der beängstigende Umstand klar, dass unser Leben in der Tat immer mehr unter Beobachtung steht.
»Diese Schulinspektoren schreiben ellenlange Berichte, in denen sie jedes Detail erfassen. Diese Methode ist weit verbreitet und wird gerne angewandt. Wenn Sie
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