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Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)

Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)

Titel: Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Addison
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entspannen.
    Die Direktorin des Museums, Nicole, betritt gerade die Bühne. Ich winke ihr zu und habe das Gefühl, mich allmählich an das Leben in Norfolk zu gewöhnen. Dabei ist es erst eine Woche her, dass ich sie kennengelernt habe.
    Hannelore seufzt und rutscht auf ihrem Sitz herum. Nicole lächelt sie freudestrahlend an, doch ich befürchte, dass Hannelore dies gar nicht bemerkt hat.
    »Sehen Sie sie bloß einmal an«, flüstert mir Hannelore zu. »Sie nimmt ihren Beruf nicht ernst. Ein Mann könnte es sich nicht leisten, sich so zu kleiden!«
    Ich behalte lieber für mich, dass Nicole das schlecht gebleichte Haar, die weite Bluse und die Dreiviertelhose mit Militärtarnmuster durchaus gut stehen.
    Heute habe ich die Kluft zur ernsten Bekleidungswelt der Erwachsenen durchschritten. Dabei bin ich doch viel zu jung für das, was ich gerade trage! Wie gern würde ich mit Nicole tauschen! Sie hat es gut, denke ich, während ich sie beobachte. Das, was Nicole tut, ist das Einzige, was zählt. Obwohl ein Teil von mir noch ein wenig skeptisch ist. Denn auch das, was wir tragen , sagt etwas über uns aus. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich dem englischen Autor und Politiker Rory Stewart zugehört habe, als er bei der BBC im Radio bei Desert Island Discs war. Er hat sich stets angemessen gekleidet; er ist in Landestracht durch Afghanistan gewandert (inklusive eines Rucksacks, der wie ein Reissack aussah), kam aber in einem maßgeschneiderten Anzug aus der Londoner Saville Row zu Moderatorin Kirsty Young ins BBC -Studio. Sofort habe ich mich in die Stimme dieses Mannes verliebt, der mich an Mr Benn erinnert hat, meinen persönlichen Helden aus der Kindersendung Watch With Mother . Indem er sich jeden Tag ein anderes Kostüm anzog, machte er Schluss mit seinem langweiligen Dasein und wurde die Person, die er werden wollte. Ich sollte mir ein Video von Mr Benn kaufen. Daisy würde es ganz bestimmt gefallen.
    Hinter der Kleidung, die man trägt, kann man sich nicht verstecken – es sei denn, man besucht eine FKK -Kolonie. Na, das klingt ja richtig philosophisch!
    » Stoffwelten «, verkündet Hannelore über das Mikrofon. »Jeder Stich, den wir machen, erzählt von unserer Sozialgeschichte. Er ist wie ein Glied in einer Kette, eine Verbindung über die Grenzen der Zeit hinweg«, erklärt Hannelore auf der Bühne. »Die wahre, echte Geschichte existiert in unseren Erzählungen und den Gegenständen, mit denen wir sie erzählen.«
    Hannelore sieht in ihrem engen schwarzen Kleid und der Perlenkette einfach fantastisch aus. Kaum zu glauben, dass sie schon über sechzig ist. Ob ich in dem Alter wohl auch noch so gut aussehen werde? Was ist das Geheimnis ihrer ewigen Jugend?
    »Ich wurde gebeten, heute über Stoffwelten zu erzählen.« Hannelore nippt kurz an ihrem Wasserglas. »Nähen. Warum ist Nähen wichtig?«, fragt sie. »Einige Leute werden antworten, dass es ein belangloser Zeitvertreib ist und man sich besser um die wirklich wichtigen Belange kümmern sollte – um die Umwelt, Erziehung und das Gesundheitssystem –, als so viel Geld für die Bewerbung eines Buches auszugeben.«
    Ein paar Leute nicken zustimmend. So langsam frage ich mich, worauf sie hinauswill.
    »Manche von Ihnen werden sagen, dass Mode und Innenarchitektur einfältig, vergänglich und obendrein nutzlos sind. Ein langer oder kurzer Rocksaum. Schwarz ist in. Braun ist das neue Schwarz.« Einige Zuhörer kichern. »Die Kleidung, die wir tragen, und die Art, wie wir unser Heim ausstatten, das sind zwei der Hauptbeschäftigungen, die uns alle miteinander verbinden.«
    Ich lächele in mich hinein. Irgendwo habe ich das schon einmal gehört. Offenbar hat Hannelore ihre Rede im Nähkurs an mir ausgetestet. Oder – besser noch: Vielleicht hat sie unsere Unterhaltung zu dieser Rede inspiriert.
    »Kürzlich habe ich zum ersten Mal seit vierzig Jahren meiner Heimatstadt wieder einen Besuch abgestattet. Dort hat sich vieles verändert. Andere Dinge wiederum sind geblieben, wie sie früher waren. Unter anderem bin ich dabei im Jüdischen Museum Berlin gewesen, dessen Ausstellung ebenso viele Preise gewonnen hat wie der Museumsbau selbst.«
    Wieder ertönt ein unsicheres Lachen aus dem Publikum. »Doch in jenem Museum habe ich einen wichtigen Gegenstand unserer gemeinsamen Vergangenheit entdeckt: eine Nähmaschine. In den Dreißigerjahren gehörte diese einem jüdischen Schneider. Wahrscheinich hat er sie von seinem Vater geerbt, und dieser wiederum von

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