Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
Oma, an die du dich nicht erinnern kannst, hatte früher zuhause eine große Industrienähmaschine. Der durfte ich mich nicht nähern – ich durfte mich nicht einmal im gleichen Zimmer aufhalten. Auf der hat sie Vorhänge für das große Kaufhaus im Nachbarort genäht.«
»In Norwich?«
»Nein, das war ganz weit weg von hier. Ich weiß noch, wie Mum immer ein oder zwei Monate lang ganz viele Vorhänge genäht hat, um Geld für den Urlaub, für ein neues Sofa oder eines ihrer Lamékleider zu sparen. Danach hat sie dann dem Kaufhaus erklärt, sie sei beschäftigt, und dann monatelang nicht mehr genäht. Und weil sie die beste Näherin war, hat sich nie jemand beschwert.« Vielleicht hatte Mum einfach den Bogen raus? Offensichtlich hatte sie diese Job-Spielereien besser drauf als ich.
» Da ist dein Rosenspalier und dein Regenwald«, erklärt Lilly und starrt wie gebannt auf den Fernseher. Wahrscheinlich hat sie von allem, was ich gesagt habe, kein Wort verstanden. Das ärgert mich ein wenig, obwohl ich natürlich verstehe, dass sie sich an meine Mutter nicht mehr erinnern kann und es für sie so sein muss, als würde ich über eine völlig fremde Person erzählen. Mich überrascht jedoch, dass meine Designs bei Lilly so viel Beachtung gefunden haben.
»Die hast du noch im alten Haus entworfen«, stellt sie fest.
»Pssst!«, ermahne ich sie und versuche, die Reporterin zu verstehen. Ich warte auf eine frohe, begeisterte Reaktion der Reporterin, doch stattdessen dröhnen nur böse, wütende Worte aus dem Fernseher.
»Diese Mädchen arbeiten sieben Tage die Woche und zwölf Stunden pro Schicht für weniger als einen Dollar im Monat. Es ist schockierend, dass Frauen aus unserem Land in Kauf nehmen, Frauen aus der Dritten Welt derart auszubeuten. Dies ist die moderne Form der Sklaverei im einundzwanzigsten Jahrhundert!«, ruft die Reporterin aufgebracht. »Und alles nur, damit junge Mädchen diese Weg-werfkleider bei den großen Modeketten kaufen können!«
»Mummy, wie kannst du nur?«, brüllt Lilly. »Das ist so gemein! Die armen Mädchen werden in schrecklichen Fabriken eingesperrt, um deine Entwürfe zu nähen!«
»Das stimmt so nicht«, will ich ihr erklären, doch Lilly stürmt davon.
Wieder lausche ich der Reporterin. »Die meisten Menschen sind nicht bereit, in Zeiten der Wirtschaftskrise, wo jeder Pfennig umgedreht werden muss, mehr Geld für Kleidung auszugeben. Doch billige Kleidung bedeutet, dass die Arbeiter in der Tuchindustrie, wehrlose Tiere und unser Planet dafür bezahlen müssen.«
»Und wie viel hast du für deinen Hosenanzug bezahlt? Das ist doch ein Designerstück, was bedeutet, dass er sehr wahrscheinlich ebenfalls in China hergestellt worden ist. Wie viel hat die arme Näherin bekommen, um deinen Hosenanzug herzustellen? Denn du hast ihn ja ganz bestimmt nicht selbst genäht!«, schimpfe ich.
Kurz darauf setze ich Lilly in der Schule und Daisy im Kinderhort ab und fahre mit einem schlechten Gewissen wieder heim. Vielleicht sollte meine Arbeit politischer werden wie die von Tracy Emin? Vielleicht sollte ich nicht nur hübsche Dinge entwerfen und fertigen? Die Sonne scheint, und endlich spüre ich auch ihre Wärme auf meinem Gesicht. Bilder dieser armen Mädchen, die für einen Hungerlohn in den Fabriken schuften müssen, gehen mir unaufhörlich durch den Kopf. Sogleich muss ich an die billigen T-Shirts denken, die Adi nach dem Brand gekauft hat, und an das günstige handbestickte Top, dass ich Daisy bei Primark gekauft habe. Dabei bin ich so begeistert gewesen, wie billig es war!
Reedby ist eine vollkommen andere Welt. The Green sieht aus wie ein Postkartenmotiv, da rundum die Gärten zum Leben erwachen und überall blaue Vergissmeinnicht erstrahlen. Eigentlich sollte ich glücklich sein, doch ich bin es nicht.
Das Einzige, was mir momentan richtig Spaß macht, ist der Nähkurs. Natürlich auch die Mädchen, das ist klar. Die halbe Woche verbringe ich allerdings damit, mich davor zu fürchten, wieder unterrichten zu müssen. Aber nicht, weil ich das Unterrichten an sich nicht mag – im Gegenteil, ich genieße die Klassenprojekte sogar sehr. Aber ich habe permanent Angst, das Falsche zu tun oder zu sagen. Curtis spielt Katz und Maus mit mir, doch er hat noch kein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet – noch nicht. Ich bin sicher, eine ganze Reihe von Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen gebrochen zu haben, und diese Sache schwebt wie ein Damoklesschwert über mir. Darum
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