Ein Cowboy aus Manhattan
eine Akte über mich, mit Namen und Daten, Fakten
und Zahlen. Was blieb mir übrig? Entweder ging ich mit ihnen, oder sie
schickten Edwin Bailey die Akte. Habe ich Ihnen gesagt, daß auch Fotos dabei
waren? Großartige Fotos, Boyd! Schlimm genug, um jedem Mann den Magen
umzudrehen, ganz zu schweigen vom Magen eines Ehemanns!«
»Warum fangen wir eigentlich
nicht von vom an?« sagte ich. »Wie sind Sie Baileys Frau geworden?«
»Weil er mir Sicherheit gab und
mehr, als ich in meinem ganzen Leben besessen hatte«, sagte sie. »Ich war nach
Santo Bahia gekommen, weil ich Los Angeles nicht mehr ausstehen konnte und das
lausige Leben dort. Ich weiß, es klingt kitschig, aber ich wollte neu beginnen.
Ich bekam eine Stelle in einem Restaurant. Edwin ging dort dreimal in der Woche
essen. So lernten wir uns kennen.«
»Und dann haben Sie ihn
geheiratet, und alles sah rosig aus, bis Sie nach Las Vegas kamen?« forschte
ich weiter.
»Alles wäre noch viel rosiger
gewesen, wenn er nicht diese ekelhafte Tochter gehabt hätte«, sagte sie.
»Virginia konnte mich von Anfang an nicht leiden und haßte mich, ganz gleich, wieviel Mühe ich mir gab.«
»Und Las Vegas?«
»Ich hatte großen Spaß dort«,
sagte sie. »Edwin war lieb und großzügig, es war großartig. Als wir Joe Hill
kennenlernten, dachte ich, das ist ein netter Mann, nur ein bißchen einsam, und
hatte nichts dagegen, mit ihm zu trinken. Am nächsten Tag tauchte sein Partner
auf — Willie! Es sah so aus, als hätte er sich von Anfang an in mich verknallt,
und das störte mich nicht. Verdammt, ich war so dumm, das als eine Art
Kompliment anzusehen. Aber ich hatte nicht vor, es zu weit kommen zu lassen.
Als ich Edwin heiratete, schwor ich mir, ihn nie zu betrügen, niemals. Aber
einen Tag nach seiner Ankunft zeigte Willie mir die Akte.« Ihre Stimme klang
hohl. »Ich hatte keine andere Wahl, Boyd. Wenn er die Akte gesehen hätte, wäre
es noch schlimmer für Edwin gewesen als so.«
»Also schütteten sie Bailey in
dieser Nacht etwas ins Glas, und als er am Morgen wieder zu sich kam, waren Sie
mit Willie verschwunden«, sagte ich. »Was ist dann geschehen?«
»Wir fuhren zurück nach Santo
Bahia«, sagte sie. »Willie sagte, ich würde von jetzt ab zur Gruppe gehören.
Sie hatten eine große Wohnung außerhalb der Stadt. Vielleicht drei oder vier
Tage später tauchten Walt und Joe Hill auf. Sie waren sehr mit sich zufrieden,
sagten, daß sie dreißigtausend aus Bailey herausgeholt hätten und daß es ganz
einfach gewesen wäre.«
»Und was war mit Fay?«
»Ich habe sie nie gesehen«,
sagte sie. »Sie haben viel von ihr gesprochen, aber gesehen habe ich sie nie. Sie
sagten, daß Fay Edwin wirklich geschickt reingelegt hätte, und alle lachten
darüber, als sei es ein guter Witz.«
»Und was ist dann passiert?«
»Wir sind fünf oder sechs
Wochen in dieser Wohnung geblieben«, sagte sie. »Sie gingen viel aus, meinten
aber, es sei zu gefährlich, wenn ich mich zu oft draußen sehen ließ, denn
Bailey oder seine Tochter könnten mich entdecken. Es ging mir ganz gut in
dieser Zeit, ich kochte für alle und machte die Hausarbeit. Und die kleinen
Dienstleistungen für Willie.« Sie schüttelte sich. »Er hat überhaupt nichts
Menschliches an sich, können Sie sich das vorstellen? Joe Hill, Walt — das sind
schon zwei miserable Typen, aber wenigstens normal. Dagegen Willie…«
»Haben sie Sie mit nach Wyoming
genommen?«
»Wyoming?« Sie schien überrascht
zu sein. »Wenn sie nach Wyoming gefahren sind, haben sie sich nicht die Mühe
gemacht, mir davon zu erzählen.« Sie schwieg einen Augenblick. »Aber natürlich,
das muß die Woche gewesen sein, als sie mich in der Wüste ließen!«
»In der Wüste?« murmelte ich.
»In einer winzigen Hütte, eine
Million Meilen hinter Nirgendwo«, sagte sie leise. »Sie ließen mir Lebensmittel
da und sagten, wenn ich sparsam wäre und nicht badete, könnte der Wassertank
für eine Woche reichen. Dann nahmen sie eine lange Kette und — «
»Schlossen ein Ende an einen
Eisenpfosten und das andere an Ihren Knöchel?« sagte ich.
»Woher wissen Sie das?«
»Weil sie das mit Edwin Bailey
auch gemacht haben, nur daß er etwas besser dran war. Er mußte es nur zwei Tage
lang aushalten.«
»Manchmal dachte ich, jetzt
werde ich wahnsinnig«, sagte sie. »Nachts habe ich draußen Geräusche gehört und
wußte nicht, ob es Tiere oder Menschen waren. Die letzten zwei Tage hatte ich
das sichere Gefühl, daß sie nie mehr
Weitere Kostenlose Bücher