Ein Cowboy aus Manhattan
zurückkommen würden. Ich wollte mich
umbringen, schaffte es aber nicht.«
»Wann haben Sie Joe Hill zum letztenmal gesehen?«
»An dem Tag, als sie mich in
der Hütte zurückließen. Nach einer Woche kamen Willie und Walt zurück und
holten mich. Sie sagten, Joe Hill hätte noch in Nevada zu tun und würde eine Zeitlang
wegbleiben. Dann brachten sie mich wieder zurück nach Santo Bahia.«
»In die Wohnung?«
»Nein.« Sie schüttelte den
Kopf. »Von da an waren wir nur noch unterwegs. Zwei Nächte in einem Motel, dann
weiter in ein anderes. Das kam mir sonderbar vor, aber ich wagte nicht zu
fragen.«
»Und wo wohnen sie jetzt?«
»In der Strandhütte«, sagte
sie. »Was soll ich jetzt machen, Boyd? Ich kann nicht zurück zu Walt. Wenn ich
ihm sage, was heute passiert ist, glaubt er mir nicht. Und ich habe nur meine
Kleider und vielleicht dreißig Dollar in der Handtasche. Und wenn ich zu
fliehen versuchte, finden sie mich. Das weiß ich ganz genau!«
Sie fing wieder zu weinen an,
in dem erstickten, atemlosen Schluchzen eines kleinen Mädchens, dessen
Lieblingspuppe zerbrochen ist.
»Wyoming«, sagte ich.
»Was?«
»Ich gebe Ihnen zweihundert
Dollar, damit kommen Sie bis Wyoming. Dort werden sie nie nach Ihnen suchen.«
»Wyoming?« jammerte sie. »Wo,
zum Teufel, ist das überhaupt?«
»Sie können sich in einen Bus
setzen«, grollte ich. »Lösen Sie erst mal bis Reno, dort fragen Sie wieder. In
Nevada weiß fast jeder, wo Wyoming liegt.«
»Und wohin in Wyoming?«
»Sie fahren nach Laramie «, sagte ich, »und dort erkundigen Sie sich nach
einer Ferienranch namens >Trockener Schlund<. Wenn Sie auf der Ranch
sind, fragen Sie nach einem Mädchen namens Primel und sagen, daß ich Sie
geschickt habe. Sie können bestimmt dort wohnen. Und sagen Sie ihr, daß ich im Starlight Hotel in Santo Bahia wohne und gefunden habe, wonach wir suchen, und daß sie mich
anrufen soll.«
»Und Sie wollen mich bestimmt
nicht aufs Kreuz legen, Boyd?« fragte Pattie verzweifelt.
»Zweihundert Dollar beweisen,
daß ich es ernst meine«, erinnerte ich.
»Ist ja eigentlich egal«, sagte
sie. »Sie finden mich sowieso. Ob ich jetzt in Wyoming oder hier sterbe, ist
doch gleich, oder?«
»Was wissen Sie über Tylor
Morgan?« fragte ich.
»Nicht viel«, antwortete sie.
»Für mich ist das ein Name, nicht mehr. Sie haben ihn öfter erwähnt, aber wenn
ich dabei war, haben sie immer verschlüsselt geredet. Ich glaube, er ist so
eine Art neuer Edwin, wenn Sie damit etwas anfangen können.«
»Ich glaube schon«, sagte ich.
Ich setzte sie an der
Busstation ab. Irgendwann in den frühen Morgenstunden würde ein Bus in Richtung
Reno gehen, dachte ich. Ich räumte meine Brieftasche aus, zählte
hundertdreiundneunzig Dollar, und das mußte reichen. Pattie stopfte die Scheine
in ihre Handtasche und machte sich nicht erst die Mühe, danke zu sagen. Sie
verschwand in Richtung Damentoilette. Ich betrachtete nachdenklich ihre
Kehrseite und hoffte, daß sie es bis zum >Trockenen Schlund< schaffen
würde. Immerhin sparte ich auf diese Weise die Gebühren für ein Ferngespräch.
In einiger Entfernung vom Hotel
parkte ich im Halteverbot und ging den Rest des Weges zu Fuß.
7
Die englische Teestube war um
elf Uhr vormittags so vollgestopft, daß man Klaustrophobie bekommen konnte. Es
sah aus, als hätten sich die Matronen von Santo Bahia hier zusammengefunden, um
die Vernichtung der männlichen Bevölkerung zu beschließen. Ich schlich mich
hinein, fragte verschämt nach einem Tisch und bekam schließlich einen, weit
hinten in einer Ecke, denn die verkniffen grinsende Kellnerin wollte mich
offenbar außer Sichtweite haben. Die blümchenverzierte Speisekarte bot fast
alles, von ausgetrockneten englischen Brötchen bis zum gleichermaßen
ausgetrockneten dänischen Käse. Ich bestellte Kaffee und tat so, als wäre ich
woanders. Es dauerte zehn Minuten, bis der Kaffee kam, und diese Qual
rechtfertigte die erste Zigarette des Tages.
Die Lautstärke der
schnatternden Stimmen bewegte sich mit Sicherheit über der Schmerzschwelle,
aber dann schrillte ein Sopran auf und übertönte alles andere.
»Danny!« kreischte es in
furchterregendem Entzücken. »Danny Boyd! Was machst du denn in diesem Stall?«
Plötzlich
herrschte tödliches Schweigen, als die Matronen stumm die Hälse nach mir
reckten. Ich spürte, wie mir der Kopf langsam zwischen die Schultern sackte,
und riskierte noch schnell einen Blick, ehe es zu spät war und
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