Ein Cowboy zum Verlieben: In einer zärtlichen Winternacht (German Edition)
hätten sein sollen, hingen dicke Bündel. Zweifellos handelte es sich um Geschenke für Gracie und die anderen Kinder. Wes und Kate, die selbst keine Kinder hatten, waren Weihnachten und an Geburtstagen immer außerordentlich großzügig.
Lincoln schwieg. Wes hatte die ganze Zeit über Josiahs erste Frau, Micahs Mutter, Bescheid gewusst und es nie für nötig befunden, das Thema anzusprechen. Jetzt, nachdem er wahrscheinlich mit Tom gesprochen hatte, würde er bestimmt irgendeine Erklärung parat haben.
„Für Miss Mitchell ist ein Telegramm gekommen“, sagte sein Bruder stattdessen zu seiner Überraschung. „Ich dachte, dass ich es besser herbringe.“
„Sie heißt nicht mehr Miss Mitchell“, erklärte Lincoln nüchtern. „Ich habe sie gestern geheiratet.“
Erfreut lachte Wes auf. „
Darum
habe ich den Reverend auf dem Weg hierher getroffen. Gratuliere, du verdammter Glückspilz.“
„Danke.“ Er sprach das Wort absichtlich mit einem grollenden Unterton aus.
Wes zog einen gelben Umschlag aus der Innentasche seines Mantels. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie Lincoln das Telegramm einsteckte, ohne auch nur auf den Absender zu sehen.
„Es ist vom
Bureau of Indian Affairs
, Lincoln“, meinte Wes leise.
Das bedeutete natürlich Ärger. In Telegrammen standen selten gute Neuigkeiten. Lincoln wappnete sich gegen das, was kommen würde. Er hatte in den vergangenen Jahren gelernt, sich Problemen zu stellen, wenn sie auftauchten. „Ich hoffe für dich, dass du es nicht gelesen hast“, sagte er brummend.
„Das brauchte ich gar nicht“, entgegnete Wes leichthin. „Der Telegrafist hat es mir verraten. Inzwischen weiß wahrscheinlich die halbe Stadt, dass der Beauftragte für Indianer, Philbert, noch vor Neujahr nach Stillwater Springs zu kommen gedenkt und für jede Menge Unruhe sorgen wird. Die frischgebackene Mrs Creed hat jedenfalls mit Sicherheit ihre Anstellung verloren, was aber nach der Hochzeit und allem ja sowieso egal ist.“
Obwohl er damit gerechnet hatte, traf Lincoln die Ankündigung wie ein Schlag. Er schwankte etwas in seinem Sattel. „Was noch?“, wollte er wissen, wobei er weiterhin dem Blick seines Bruders auswich.
„Er hat vor, die Kinder zurück nach Missoula zu bringen“, stieß Wes aus.
Lincoln schloss die Augen. Sagte nichts.
Bevor dieser Philbert hier auftauchte, würde er Joseph und Theresa bereits in den Zug nach North Dakota gesetzt haben, koste es, was es wolle. Und wenn er sie höchstpersönlich zum Bahnhof in Missoula bringen und ins Zugabteil schaffen musste. Juliana hatte sich bereits auf diesen Abschied vorbereitet – und für die Kinder war es das Beste, bei ihrer Familie zu sein. Bei den beiden Kleinen aber sah die Sache ganz anders aus. Sie waren Waisen. Und Juliana hatte irgendwann die Mutterrolle für Daisy und Klein-Bill übernommen. Sie jetzt gehen zu lassen, wäre bitter für sie und die beiden.
„Tom hat dir das Familiengeheimnis erzählt, wie ich höre“, bemerkte Wes, als Lincoln für seinen Geschmack viel zu lange geschwiegen hatte.
Jetzt drehte Lincoln den Kopf und schaute seinen Bruder geradewegs ins Gesicht. „Warum hast
du
es mir nicht erzählt, Wes?“
„Ma hat mich gebeten, das nicht zu tun“, entgegnete Wes ernst.
Doch Lincoln ließ nicht locker. „Seit wann bist du so scharf darauf, zu tun, was Ma will?“
Sein Bruder lächelte dünn und etwas zerknirscht. „Immerhin habe ich einen Weihnachtsbaum gefällt und auf dem Rücken meines Esels hier raufgeschleppt, nur weil sie es mir gesagt hat, oder?“
„Das hast du für Gracie getan.“
Seufzend richtete Wes sich einen Moment lang in den Steigbügeln auf, um die Beine zu strecken. „Überwiegend“, gestand er schroff und fügte dann hinzu: „Zwischen Ma und mir lief es nicht immer so schlecht, Lincoln. Du weißt doch noch, wie es nach Dawsons Tod war. Sie war fast verrückt vor Kummer. Doc Chaney musste sie mit Laudanum ruhigstellen. Ich war auch ganz schön fertig. Das waren wir alle, aber vor allem Ma hat gelitten. Ich wollte tun, was immer in meiner Macht stand, um ihr zu helfen, und das war weiß Gott nicht viel.“
Schweigend ließ Lincoln die Worte auf sich wirken. Er wusste noch, wie seine Mutter in den ersten Wochen nach der Schießerei in manchen Nächten laut geweint hatte und wie sein Vater dann immer aus dem Haus gestürmt war.
Das Sattelleder knirschte leise, als Wes sich mit ernstem Blick ein wenig vorbeugte. „Es gab aber noch einen anderen
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