Ein delikater Liebesbrief
einzuschätzen.« Das klang unerträglich arrogant, deshalb beeilte er sich, hinzuzufügen: »Natürlich prüfen beide Seiten.«
»Vielleicht ist Ihre Zurückhaltung geschlechtsbedingt. Wir Frauen sind aus reiner Notwendigkeit mit dem Heiratsmarkt vertraut. Ich schätze, das Problem besteht nicht darin, dass Sie sich nie zuvor als Teil dieses Marktes gesehen haben, sondern darin, dass Sie sich stets als gute Partie betrachteten. Jetzt jedoch haben die glücklichen Umstände, in denen sich Ihre Tante befindet, Sie ein wenig – aber nur ein wenig , Mr Darby – erschwinglicher gemacht.«
In ihren Augen war nicht eine Spur von Spott zu erkennen. Und es war durchaus nachvollziehbar, dass er ihrer Auffassung nach eine reiche Erbin heiraten musste.
»Ich schätze, Sie haben recht«, gab Darby zu. Er leerte sein Glas. »Sie sind bemerkenswert offen, Lady Henrietta.« Er konnte sich nicht erinnern, jemals mit dem Adjektiv erschwinglich belegt worden zu sein.
»Ich fürchte, das ist einer meiner Fehler«, stimmte sie ihm ohne die geringste Verlegenheit zu. »Vielleicht ist dies ein besonderes Merkmal des Landlebens. Wir brauchen nicht in Rätseln zu sprechen.«
»Da ich das Landleben kaum kenne«, sagte Darby, »kann ich Ihnen schwerlich widersprechen. Sie haben vermutlich das Gerücht vernommen, dass ich zu Besuch gekommen bin, um die Niederkunft meiner Tante abzuwarten und festzustellen, ob ich noch der Erbe meines Onkel bin?«
»Ist es denn wahr?«
Darby schwenkte sein Weinglas und beobachtete die letzten Tropfen roter Flüssigkeit auf dessen Grund. »Ich glaube, Sie würden meine Antwort sehr schockierend finden, Lady Henrietta.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte sie seelenruhig. »In einem kleinen Dorf findet man ebenso viel Gier wie in einer großen Stadt.«
Nun schaute er auf, während ein schwaches Lächeln seine Mundwinkel umspielte. »Bin ich jetzt nicht nur erschwinglich, sondern auch gierig?«
»Das habe ich nicht behauptet – und auch nicht gemeint.« Ihre klaren Augen gaben ihm das Gefühl, ihr vertrauen zu können.
»Ich habe meine Tante tatsächlich deswegen aufgesucht, weil ich wissen wollte, ob sie das Kind meines Onkels austrägt«, gestand er mit gesenktem Blick. »Das war schäbig von mir.«
»Ja.«
»Aber ich lag vollkommen falsch. Ich hatte geglaubt, die beiden hätten sich einander entfremdet, aber diese Einschätzung war wohl falsch.« Die Motive der Eheschließung waren ihm unerklärlich geblieben, doch es konnte keinen Zweifel geben, dass diese Ehe von echten Gefühlen getragen worden war.
Seine Gesprächspartnerin schwieg. Vermutlich war sie bis auf den Grund ihrer harmlosen Landmädchenseele erschüttert.
»Die Ehe ist schon eine seltsame Sache«, brummte Darby. »Was trinken Sie da – Champagner?«
»Ja, das stimmt.«
Darby winkte einen Diener herbei. »Möchten Sie noch ein Glas?«
»Nein danke. Ich trinke selten mehr als ein Glas. Mir gefällt, wie er perlt, seine Wirkung jedoch behagt mir nicht.«
Als Mann, der die (für ihn) ungewöhnliche Maßnahme ergriffen hatte, sich drei- oder viermal besinnungslos zu betrinken, seit er kleine Kinder geerbt hatte, konnte Darby das gut verstehen. Er verstand es und konnte es ihr dennoch nicht gleichtun.
»Bitte bringen Sie mir noch einen Madeira«, sagte er dem Diener, »und Lady Henrietta noch ein Glas Champagner. Ein einziges Glas wird Ihnen nicht schaden«, versicherte er ihr. »Ich selbst brauche noch Wein, um mir Mut anzutrinken. Dann werde ich möglicherweise Ihrem Rat folgen und Miss Aiken noch einmal ansprechen.« Er meinte es selbst nicht ernst.
»Ich denke, wenn Sie noch einmal auf Lucy zugehen, werden Sie feststellen, dass sie zu gerne mit Ihnen spricht«, erwiderte Henrietta. »Sie betrachtet Sie wirklich nicht als Handelsgut, Mr Darby. Lucy ist blutjung. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihre Symmetrie war, die sie einfach hingerissen hat.«
Er blickte sie forschend an und entdeckte ein belustigtes Funkeln in ihren schönen Augen.
Der Wein kam, Darby nahm einen Schluck und ließ ihn wie flüssiges Feuer auf der Zunge zergehen. Da Lady Henrietta ungerührt die kühnsten Dinge sagte, würde sie gewiss nicht schockiert sein, wenn er ebenso unverblümt sprach.
»Warum sind Sie nicht auf dem Heiratsmarkt, Lady Henrietta Maclellan? Ich habe Sie mit alten Damen und jungen Damen sprechen sehen, doch mit keinem der anwesenden Herren.«
»Das stimmt nicht!«, protestierte sie. »Lord Durgiss und ich haben ausführlich
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