Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Gedanken, die sich wie eine schusssichere Weste um ihn legten.
Er hatte plötzlich Lust auf eine dieser mentholhaltigen Newport-Zigaretten, die Martha manchmal von einem amerikanischen Kollegen bekam. Jeder Zug ein Messerstich in die Lunge, ein eisig schöner Kuss des Todes.
Nachdem sie die Grenze bei Glanerbrug überquert hatten, steuerte er den Bus weiter Richtung Enschede. Bis Rösner auf einer wenig befahrenen und nur da und dort von Laternen erhellten Umgehungsstraße seinen Colt auf ihn richtete, »Anhalten! Sofort!« sagte und ihm das Walkie-Talkie hinhielt.
»Ruf die Holländer an und sach denen, dass wir einen neuen, PS-starken Fluchtwagen fordern. BMW oder Mercedes. Egal! Und dass wir bis auf zwei Geiseln alle freilassen, wenn sie unsere Forderungen erfüllen.«
Rösner drehte sich um und rief: »Bis auf zwei Geiseln werden alle freigelassen, wenn die Holländer unsere Forderungen erfüllen!« Er krächzte die Worte mehr, als dass er sie aussprach, heiser und müde, und jeder konnte sehen, welche Kraft ihn sein Weg von Gladbeck bis in dieses dunkle holländische Waldstück gekostet hatte. Statt Jubel erntete er nur ungläubiges Schweigen.
Jetzt, dachte Adam mit dem Walkie-Talkie in der Hand, das Rösner einem Polizisten in Huckelriede entwendet hatte, kannes höchstens noch eine Stunde dauern, bis die Irrfahrt zu Ende ist. Eine Stunde, das war nicht viel.
Er hatte noch nie zuvor so ein Ding in der Hand gehabt, ein Funkgerät der Marke Bosch. FuG 10. Trotzdem fiel es ihm nicht schwer, damit umzugehen, denn er liebte technische Geräte, alte Radios, die man auseinandernehmen und wieder zusammenbauen konnte, defekte Staubsauger, verstopfte Einspritzpumpen. Einmal brachte er sogar mit Blick durch eine Lupe eine kaputte Armbanduhr wieder zum Laufen. Doch vor allem liebte er Motoren, in deren Gekröse aus Drähten, Leitungen, Spulen, Pleuelstange und Kurbelwellen er mit seinem Werkzeug stundenlang ebenso lustvoll herumfuhrwerken konnte wie ein Chirurg mit seinem Skalpell in einem aufgeschnittenen Bauchraum.
Adam hantierte so lange an dem drehscheibenartigen Frequenzwählschalter des schwarzen Geräts, bis er die Frequenz der holländischen Polizei gefunden hatte. Anschließend drückte er erwartungsvoll die Empfangstaste und hörte eine männliche Stimme mehrmals »Hallo? Hallo?« sagen.
»Ich bin der Fahrer des gekidnappten Autobusses von Bremen«, antwortete Adam und hielt die Sprechtaste gedrückt. »Sie fordern einen Fluchtwagen, einen BMW oder Mercedes. Die Geiseln werden freikommen, wenn der Wagen da ist.« Er ließ die Sprechtaste los und horchte auf das Knistern und Rauschen.
Im Bus roch es nach Nikotin und den Salamibrötchen, die Rösner in dem Kiosk in Huckelriede besorgt hatte, nach Bier und Angst. Als Marion in den Bus zurückgekehrt war, stießen die Gangster mit den Geiseln an und stellten ihnen ihre baldige Freilassung in Aussicht. Adam hatte sich weggedreht, als Rösner ihm eine Bierdose hinhielt und sagte: »Hier! Trink!«
Er versuchte sich vorzustellen, wie alles ablaufen würde, sofern die niederländische Polizei auf Rösners Forderungen einging und das Fluchtauto bereitstellte: das Verschwinden der Geiselgangster in der Nacht. Die kraftlose Freude derer, die mit demLeben davonkamen. Aber auch die Angst in den Augen jener beiden Pechvögel, die mit in den Fluchtwagen mussten. Doch wen würde es treffen? Für welche der Geiseln ginge das Drama weiter? Wahrscheinlich für die hübsche Blondine in dem schwarzen Rollkragenpullover, die Degowski schon die ganze Zeit im Blick hatte. Aber für wen noch? Für ihre Freundin? Oder für das kleine italienische Mädchen, dessen Bruder in Huckelriede, von Degowski angeschossen, schwerverletzt zurückgeblieben war? Würde das den Druck auf die Polizei erhöhen?
»Verstanden! Wir wissen, wo Sie sind! Ende!«, sagte der Mann in kantigem Hochdeutsch. Es knackte, und seine Stimme war weg. »Gib her«, rief Rösner, der das Gespräch verfolgte, und entriss Adam das Funkgerät.
Adam blickte in das müde Gesicht des vielleicht 60 Jahre alten Mannes, der die ganze Zeit in sich zusammengesunken auf seinem Einzelsitz hinter der von einem Ledervorhang verhüllten Trennscheibe saß, wie jemand, der sich unter der ihm bevorstehenden Strafe ganz klein zu machen versucht.
Keine Viertelstunde später kamen sie. Mit zuckenden Blaulichtern rollten die ersten Polizeifahrzeuge an. Laternen warfen Schatten, Autofensterscheiben reflektierten gleißende
Weitere Kostenlose Bücher