Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Scheinwerferlichter, Stimmen und Geräusche wurden laut.
Adam sah abwechselnd in Rück- und Außenspiegel, pendelte ruhelos zwischen innen und außen hin und her wie jemand, der zwei Monitore gleichzeitig im Auge zu behalten versucht. Die weißen Police-Wagen, deren Türen blaue und rote Streifen zierten, waren gut zu erkennen. Die pulsierenden Lichtkegel ihrer Blaulichter verwandelten die Bäume in starre Skelette. Beamte sprangen heraus und bezogen Stellung.
Schweigend starrten alle nach draußen. Verschwitzte Gesichter, die trotz der gekippten Oberfenster gezeichnet waren von der im Bus herrschenden schlechten Luft und der Hitze. Männer und Frauen mit verklebten Haaren und durchgeschwitztenHemden, deren Arme schlaff herabhingen und deren Blicke Bände sprachen.
In wenigen Minuten würden Rösner und Degowski mit den ausgewählten Geiseln den Bus verlassen und in den Wagen umsteigen, der soeben draußen vorfuhr, ein dunkler großer BMW.
Rösner, der seinen Colt in der rechten und das Funkgerät in der linken Hand hielt, griff mit rechts nach einer mit Cola-Flaschen gefüllten Plastiktüte, die Marion ihm lässig hinstreckte. Mit einer ungeschickten Bewegung seines Zeigefingers berührte er den Abzug, und ein Schuss löste sich aus seiner Waffe.
Marion wurde am Bein getroffen und durch den Feuerstoß ruckartig nach hinten weggeschleudert. Schreiend fiel sie zu Boden. Im gleichen Moment eröffnete die Polizei das Feuer. Sekundenlang bebte der Bus wie ein Schiff auf hoher See. Nacheinander zerbarsten mehrere Fensterscheiben, und auf die wimmernden Männer und Frauen regnete es Glasscherben.
Dann, von einer Sekunde zur anderen, wurde nicht mehr geschossen, und bis auf ein paar Stimmen draußen war es wieder vollkommen still. Als hätte jemand einen Lautstärkeregler betätigt. Adam sagte sich: Wahrscheinlich werden die jeden Augenblick den Bus erstürmen und mit ihren Pistolen für klare Verhältnisse hier drin sorgen. Doch auch nach drei oder vier Minuten, die sie alle reglos auf dem Boden verharrten und in die von durcheinandergehenden Stimmen zerrissene Stille horchten, geschah nichts. Rösner erhob sich ganz langsam und spähte durch die zerschossene Seitenscheibe hinaus in die von rhythmisch zuckenden Blaulichtern illuminierte Nacht, blickte sich im Bus um und nickte Degowski zu. Nach einem kurzen Räuspern rief er: »Wir kommen jetzt mit zwei Geiseln raus! Wenn ihr wat versucht, knallt et! Und die beiden sind tot!«
Degowski packte die blonde junge Frau in dem dunklen Pulli an der Schulter und zog sie zu sich hoch, ihre Freundin stand von selbst auf. Marion, die gegenüber der hinteren Ausstiegstür aufdem Boden saß, verfolgte das Ganze mit schmerzverzerrtem Gesicht. Mit ihrer linken Hand drückte sie ein blutrotes Taschentuch auf ihren verletzten Oberschenkel. Ihren Colt hatte sie neben sich auf den Boden gelegt.
Und nun spürte auch Adam den Schmerz. Vorsichtig drehte er seine heftig pochende linke Hand hin und her. Und mit Blick auf die aus dem aufgerissenen Fleisch sickernde kirschrote Flüssigkeit dachte er ungläubig: Ich blute!
Draußen, neben dem Bus, setzte sich der von Rösner gesteuerte BMW unter den Augen der Polizei in Bewegung, wendete und verschwand mit den beiden Geiseln und der Verletzten zurück in Richtung Grenze.
Die Nachtluft schmeckte leicht süßlich, nach Nuss oder Mandel oder so etwas. Wahrscheinlich, dachte er, blüht da draußen in der Finsternis irgendwas. Adam ging ein paar Schritte, unter seinen Schuhsohlen knackten und knirschten die überall auf dem Asphalt verstreuten, bläulich glitzernden Glassplitter. Dann blieb er stehen und legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und sog die Düfte der Nacht tief in seine Lungen ein.
Die Freigelassenen fielen einander weinend in die Arme. Drückten, kosten und küssten sich wie viele Jahre voneinander Getrennte oder in einer Grube Eingeschlossene, die endlich ihre Familien wiedersahen. Es war vorbei.
15
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Todesschüsse an der Raststätte Grundbergsee/
Mord an dem fünfzehn Jahre alten Italiener/
Rösner: »Ich knall das Mädchen ab.«
Blutige Eskalation der Ereignisse auf der Raststätte nahe Bremen. Ein Schuss fällt im Bus, kurz darauf tragen zwei Journalisten, die sich als Geiseln angeboten hatten, den schwer verletzten, blutüberströmten Jungen aus dem Bus und bringen ihn in Sicherheit. Und die Polizei schaut zu.
***
BILD Bremen
Erschossen, weil er seine Schwester retten
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