Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
an ihm vorbeizogen. Mehrere Kontrolleure stiegen zu. Er suchte in seiner Tasche nach dem Fahrschein und ertastete dabei den Smiley. Er fragte sich, wie die Frau im Clownskostüm ungeschminkt und ohne ihre Verkleidung aussah.
Er sah auf die Uhr. Ihm blieben noch 15 Minuten. Doch sobald er sich Maibachs Büro vorstellte, in welchem die Besprechung stattfinden würde, drehte sich ihm der Magen um. »Eigentlich ist es höchste Zeit, dass ich mir was suche, das meinem journalistischen Anspruch entspricht«, dachte er. Doch Pauls überstürzte Geburt hatte seine Planungen jäh über den Haufen geworfen. Sie waren ab sofort und mehr denn je auf das, was er bei RTL-Aktuell verdiente, angewiesen, und die Zeit, die er sich bis zum errechneten Geburtstermin geben wollte, um sich nach etwas anderem umzusehen, hatte er nun nicht mehr. Er war Maibach und seinen Launen fürs Erste weiter ausgeliefert – ob er wollte oder nicht.
Als er mit einem Becher Kaffee in der Hand das verglaste Büro betrat, sah Maibach ihn kurz prüfend an und sagte jovial: »Da ist er ja endlich, der frischgebackene junge Vater! Gratuliere, mein Lieber!«
Wieso bloß konnte Sylvia nicht ihren verdammten Mund halten, dachte Bertram, zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte wie jemand, dem eine Beförderung an eine Stelle zuteilgeworden war, auf die er liebend gern verzichtet hätte: »Danke, danke.Sehr freundlich, wirklich.« Dann nahm er widerwillig neben Maibach Platz.
»Also, Leute«, begann Maibach in so rasch wechselndem Tonfall, als hätte es seine ohrenschmeichlerische Begrüßung Sekunden zuvor nie gegeben. »Die Nachrichtenlage hat sich in den letzten vierundzwanzig Stunden dramatisch zu unseren Gunsten verändert. Rösner und Degowski sind im Anflug auf Köln, womit wirklich niemand rechnen konnte. Das heißt: Wir sind wieder dick im Geschäft.«
Maibachs Telefon klingelte, und sofort sprang seine Sekretärin auf und hob den Hörer ab.
»Apparat Maibach. Jürgens!«, sang sie, blieb dann für wenige Minuten wie erstarrt mit dem Hörer am Ohr neben Maibachs Schreibtisch stehen und grimassierte mit den Lippen stumm einen Namen, was Maibach dazu veranlasste, ebenfalls aufzustehen und den Hörer an sein Ohr zu drücken. Mit der anderen Hand wedelte er die im Raum Versammelten hinaus.
»Maibach«, sagte er, nun in einem gänzlich anderen Tonfall, als er ihn zuvor mit seinen Mitarbeitern anschlug.
»Sie wissen, wer hier spricht?« sagte die sonore Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Ja, das weiß ich«, sagte Maibach und setzte sich wie in Zeitlupe langsam zurück in seinen Knoll executive.
»Gut«, sagte die Stimme langsam, leise und bedächtig, mit jener distinguierten Zurückhaltung, wie sie Mächtigen eigen ist, die wissen, dass man ihnen zuhören muss.
»Ich habe soeben mit unserem Partner in Luxemburg gesprochen. Dort registriert man, wie soll ich sagen, etwas indigniert unsere Berichterstattung in Sachen Geiseldrama.«
Maibach fühlte, wie ihm das Herz am Halse schlug. Er räusperte sich und sagte: »Wir sind vor Ort und berichten.«
Er räusperte sich noch einmal. Am anderen Ende der Leitung blieb es still.
»Wir arbeiten genau wie die anderen!«
»Und das ist es, was uns Sorgen macht, Herr Maibach.«
Er hörte, wie sein Gesprächspartner eine Zigarette anzündete. Am satten Klicken des Feuerzeugs erkannte er, dass es sich um ein Dunhill handelte. Mit hochwertigen Feuerzeugen kannte Maibach sich aus.
»Wir erwarten etwas mehr Initiative von Ihnen, Herr Maibach. So eine Gelegenheit bekommen wir so schnell nicht wieder, uns bei den Zuschauern als Marke einzuprägen. Wenn ich in einer halben Stunde den Fernseher einschalte, will ich vor den Gesichtern dieser Verbrecher nur noch das RTL-Logo auf Mikrophonen und Kameras sehen.«
»Aber die Geiseln?«, sagte Maibach, beendete aber den Satz nicht.
»Bitte, Herr Maibach, kommen Sie mir jetzt nicht mit moralischen Bauchschmerzen. Die Geiseln, das ist Sache der Polizei. Wir sind Journalisten. Wir informieren den Zuschauer, und das geht am besten mit Emotionen. Drama, das ist es, was die Leute sehen wollen, Herr Maibach. Initiative. Kreativität. Das ist es, was wir von Ihnen erwarten. Wir haben Sie damals Ihrem Konkurrenten vorgezogen, weil wir von Ihrem neuen Konzept überzeugt waren. ›Wirkung vor Wahrheit!‹ Hieß es nicht so? Also, ich verlasse mich auf Sie! Auf Wiederhören!«
Es klackte in der Leitung. Das hohe Tier, die große Nummer, the Big Boss in Gütersloh hatte
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