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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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hasste, zu verlieren.

18
    BILD-Köln
    Gangster und Geiseln zum Kaffeetrinken in Raststätte!
    Gladbeck. Tankwart Hermann Witte an der Autobahnraststätte Melle (A30) wunderte sich: So viele junge sportliche Männer – und alle hatten es am Mittwochmorgen sehr eilig. »Wir fahren eine Rallye!« hatte einer von ihnen gesagt. Witte: »Das waren fast 20 Autos aus ganz Westdeutschland.« Was Witte nicht wusste: Die jungen Männer waren Spezialisten der Kriminalpolizei. Auf der Verfolgung der Geiselgangster von Gladbeck. Kurz zuvor waren die beiden Gangster ebenfalls an der Raststätte gewesen, hatten getankt und waren dann mit beiden Geiseln in die Raststätte gegangen, bestellten Kaffee. Witte: »Das ist ’n Ding!«

»Na endlich«, rief sie und eilte zur Haustür wie ein Hund, der sehnsüchtig die Heimkehr seines Herrchens erwartet. Das Klingeln hatte sie aus ihrem angespannten Brüten gerissen. In ihrem Arbeitszimmer über ihr Manuskript gebeugt, hatte sie die Sätze zuletzt bloß noch angestarrt, statt sie zu lesen.
    Sie machte die Tür auf und sah Helga fragend an: »Wieso hat das denn so lange gedauert? Ich hab schon gedacht, dir wär was passiert.«
    »Ludwig hat sich aus irgendeinem Grund in der Gästetoilette eingeschlossen, und als er dann wieder rauswollte, ist ihm der Schlüssel abgebrochen. Wir mussten den Schlüsseldienst rufen, und die kamen einfach nicht bei. Entschuldige.«
    Helga trug einen ockerfarbenen Blouson von Benetton, ein weißes T-Shirt, weiße Jeans und ebenfalls weiße Turnschuhe von Lacoste. Auf der Nase saß eine Ray Ban. Sie hielt die Autoschlüssel in der Hand.
    »Gut siehst du aus«, sagte Brigitte und umarmte Helga flüchtig.
    »Du auch«, log ihre Freundin.
    Brigitte wusste, dass sie fürchterlich aussah. Seit Tagen hatte sie ihre Haare nicht gewaschen. In Strähnen umrahmten sie ihr fahles Gesicht. Ihre blauen Leggins waren fleckig und das graue T-Shirt nicht gebügelt.
    »Alte Lügnerin«, sagte sie und machte die Tür zu. »Was ist denn los?«, sagte Helga und schob ihre Ray Ban hinauf in ihr dichtes, volles Haar. »Hast du Probleme mit dem Text?«
    »Komm!«, sagte Brigitte, ohne zu antworten, drehte sich um und lief in die Küche. »Ich hab Kaffee gemacht.«
    »Ja, es läuft nicht«, sagte Brigitte, als sie einander im Halbdunkel am Tisch gegenübersaßen. Auf dem Tisch standen ihre Teetasse und ein randvoller Aschenbecher. »Das ist es aber nicht. Ich bin ganz allgemein in einer Krise. Ich weiß auch nicht. Ich schlafe schlecht und muss wieder dauernd an Martin denken. Jedenfalls hab ich beschlossen, wieder mehr rauszugehen. Unter Leute, verstehst du? Vorhin hab ich im Radio gehört, dass die Gangster in Köln sind. Da musste ich an das denken, was du gesagt hast. Dass ich mir das ansehen soll, dass das mit meiner Arbeit zu tun hätte. Also bitte, lass uns hingehen!«
    »Ich hab’s auch gerade im Autoradio gehört«, antwortete Helga und trank einen Schluck Kaffee. »Ich verstehe nicht, was die hier wollen.«
    Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen umfasst, als wärmte sie sich daran, und sah Brigitte lange an.
    »Deine Hände, Brigitte! Was ist denn mit denen passiert?«, sagte sie, stellte ihre Tasse ab und griff nach Brigittes Händen. Sie drehte sie prüfend hin und her. Die Innenflächen waren übersät von kleinen, rötlich unterlaufenen Rissen und aufgebrochenen Stellen. »Mein Gott, das sieht ja schlimm aus!«
    »Ich hab versucht, den Duschvorhang mit Chlor zu reinigen«, log Brigitte, »und, na ja, da hab ich eben nicht aufgepasst.«
    In Wahrheit war sie, nachdem sie bereits mehr als eine Stunde auf ihre Freundin gewartet hatte und es nicht mehr länger aushielt, ins Bad gelaufen und hatte sich, wie immer, wenn eine Anspannung unerträglich wurde, so lange die Hände unter dem laufenden Wasser geseift, bis es sich endlich rot färbte.
    Der Druck in ihren Schläfen war allmählich dem erlösenden Schmerz in den Händen gewichen, und ihre Gedanken hatten aufgehört, immerzu um sich selbst zu kreisen. Denn darum ging es: das Gehirn auszuschalten, damit die Erinnerungen aufhörten, diese unheilvollen Schmerzerzeuger. Ihr Gehirn, das hatte sie bereits viele Male schmerzlich erleben müssen, war ein unerbittlicherJäger. Ein nachtragendes Etwas, das es, so gut es eben ging, im Zaum zu halten galt, ein böser Geist, den man nicht aus der Flasche lassen durfte. Denn hatte er sich erst einmal zur vollen Größe aufgerichtet, war es praktisch unmöglich, den Dschinn wieder

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