Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Coffeinum-N-Kapseln in den Mund, die er sich am Vorabend in Gladbeck in der Apotheke besorgt hatte, und zerbiss sie. Das Zeug hielt ihn zwar wach, verursachte in seinem Magen aber auf die Dauer ein schmerzhaftes Brennen.
Er hielt vor einem türkischen Gemüseladen. Die gegenüberliegende Straßenseite war zugeparkt, ein Auto hinter dem anderen. Er stieg aus, nahm die Pistole und zog Andrea Branske aus dem Wagen. »Los, raus!«, sagte er und wedelte mit der Waffe. Er konnte sehen, wie schwer ihr jede Bewegung fiel.
Sie waren ihm alle was schuldig. Alle. Und jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ihre Schuld begleichen mussten. Der Reinhard stieg aus dem Wagen, und sie betraten den Laden. Die Marion sicherte den Ausgang. Als sie wie selbstverständlich nach der Pistole griff, die er ihr hinhielt, hätte er sie knutschen können.
Im Laden stank es nach Zwiebeln, Knoblauch und fremdartigenGewürzen, auch nach Pfefferminz. Im Knast hatte er mal einen Türken gekannt, der sich die Arme und Beine so lange mit Knoblauch eingerieben hatte, um die Wanzen, die in den Matratzen und im Bettzeug steckten, damit abzuschrecken, bis er ihm angedroht hatte, ihm den Schädel einzuschlagen, wenn er nicht damit aufhörte.
»Wo ist das Telefon?«, sagte Rösner und richtete die Pistole auf den dunkelhaarigen jungen Mann, der ihm entgegenkam.
»Da hinten!«, antwortete der junge Türke unerschrocken. Alle Kunden liefen nach draußen.
Er wählte Schönwalds Gladbecker Nummer.
»Ich will verhandeln, sag denen das! Wenn die nicht bald verhandeln, stirbt die Andrea!«, rief Rösner erregt in den Hörer und beobachtete, wie der Dieter einen Apfel aus dem Regal nahm und reinbiss. Er gab Schönwald die Nummer durch, unter der sie im Laden zu erreichen waren. Schönwald versprach, sich in einer Viertelstunde wieder zu melden.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite brachten sich die Journalisten mit ihren Kameras in Stellung, feige verschanzt hinter den parkenden Autos. Andrea Branske lachte plötzlich hysterisch auf, fing aber im nächsten Moment an zu weinen.
Degowski sah Rösner an, legte, wie es seine Art war, wenn er glaubte, sich stark zu fühlen, den Kopf leicht schräg und sagte, fast ohne die Lippen zu bewegen: »Jetzt is die aber total bestusst!«
4
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Geiselnehmer drohte am Telefon:
»Geht’s schief, sterben wir alle vier.«
»Die Stimme von Reinhold A. am Telefon klingt ruhig – zu ruhig für die Situation, in der der Kassierer der Deutschen-Bank-Filiale in Gladbeck-Rentfort steckt. Seit Stunden ist der 34-jährige Gladbecker zusammen mit seiner Kollegin Andrea B. (24) in der Hand zweier Bankräuber. ›Mir geht es nicht gut‹, sagt A. ›Sie sind unberechenbar und sehr nervös. Ich weiß nicht, ob ich hier lebend rauskomme.‹ Einer der Männer, die das Leben der jungen Bankangestellten in ihren Händen halten, lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. ›Wir haben nichts mehr zu verlieren‹, macht er der WAZ am Telefon klar. ›Wenn etwas schiefgeht, sterben alle vier.‹«
Er verstaute seine Ausrüstung im Kofferraum, zog sein cremefarbenes Sakko aus, legte es auf den Beifahrersitz und stieg in den vor dem Haus in der Sonne stehenden Wagen, einen nachtblauen Mercedes 230. Er drehte die Fensterscheiben herunter, steckte sich eine Zigarette an und fuhr los. Vor ihm lagen knapp zwei Stunden Fahrzeit. Zunächst über die A31 in Richtung Cuxhaven und später weiter über die A28 Richtung Groningen/Emden würde er, wenn alles gut lief, Papenburg gegen 13 Uhr erreichen.
Er drückte die Eject-Taste, und das Gerät warf die Tom-Petty-Kassette aus. Ahrens mochte die Heartbreakers, seit er sie 1985 in der Messehalle gesehen hatte, wo sie ihr neues Album »Southern Accent« vorgestellt hatten, und schaltete auf Radiobetrieb um.
Auf der Höhe von Ganderkesee steuerte er die Raststätte Hasbruch an, um Anette in der Apotheke anzurufen. Er musste ihr sagen, dass er am Abend nicht, wie beim Frühstück besprochen, nach Hause kommen, sondern auf dem Rückweg von Papenburg einen Freund in Delmenhorst besuchen und höchstwahrscheinlich bei ihm übernachten würde.
Er stellte den Mercedes in Sichtweite ab und nahm sicherheitshalber seine beiden Babys, zwei nagelneue Canon F-1 Highspeed, aus dem Kofferraum und betrat die Raststätte. Er hätte natürlich von seinem Autotelefon aus anrufen können, hatte aber Lust auf eine eiskalte Cola.
Auf dem Kassenbon, den die Angestellte ihm
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