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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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50 Kilometer südlich von Beirut, am Rand von Saida. Eine halbe Million Palästinenser leben in dem Lager. Später haben wir ein Trainingscamp gesehen, in dem Palästinenserkinder für den »Sieg der palästinensischen Befreiungsbewegung« ausgebildet werden. Der Junge auf dem Foto sagte: »Für Palästina gebe ich alles!« Aus seinen Worten klang unbeirrbarer Stolz. Sie wollen für eine Zukunft kämpfen und wissen zugleich, dass sie keine haben.
    Nach der Rückkehr aus Ein el-Hilweh bekam ich Fieber. Die Hitze versetzte mich in einen Zustand, der mich glauben ließ, dass noch alles gut werden könnte. Ja, auch mit uns! Draußen fegt der heiße Wind den Sand durch die leeren Straßen. Manchmal klingt es, als heule ein verletzter Wolf von den nahen Bergen herunter. Dann dauert es Stunden, bis ich das Geräusch wieder aus dem Ohr kriege.
    Heute Morgen habe ich mit Hamburg telefoniert, Gillhausen sagt, Kindergeschichten verkaufen sich immer! Ich frage Dich, liebe Brigitte: Was ist bloß mit uns passiert, dass wir so fühllos geworden sind? Ich wäre so gerne bei Dir!
    Martin
    Mit dem Brief in der Hand war sie wie betäubt hinunter in den Keller gegangen, hatte Licht gemacht und eine der beschrifteten Kisten, in denen sich Martins Sachen befanden, geöffnet und den Brief in den engen Schlitz zwischen Karton und Deckel geschoben wie in einen stillgelegten Briefkasten. Dann hatte sie die Kiste wieder verschlossen, das fahle Deckenlicht ausgeschaltet und war ins Bad gelaufen, wo sie sich unterm laufenden Wasser so lange die Hände wusch, bis sie zu bluten begannen. Später hatte sie ihre malträtierten Hände dick mit Toilettenpapier umwickelt und war erschöpft von dem Blizzard, den das freigewordene Cortisol in ihrem Innern verursacht hatte, zur Apotheke geschlichen, um sich Aspirin und neues Sedacalman zu besorgen, auf dessen beruhigende Wirkung sie seit längerem vertraute.
    In einer mehr als sieben Jahre dauernden Verhaltenstherapie hatte sie gelernt, diesen Zwang, der sie noch manchmal überfiel, wenn zu großer Stress ihren Sympathicus in Aufruhr versetzte, ihre Nebennierenrinde daraufhin förmlich zu explodieren schien und sie wenig später glaubte, im Cortisol zu ertrinken, wieder halbwegs in den Griff zu bekommen.
    Das erste Mal hatte sie den unwiderstehlichen Drang, sich die Hände seifen zu müssen und dann nicht damit aufhören zu können, als Elfjährige verspürt, nachdem sie ungewollt Zeuge geworden war, wie ihr Vater den verletzten Mischlingshund, der ihnen wenige Wochen zuvor zugelaufen war und den sie gegen seinen ausdrücklichen Willen aufgenommen hatte, kaltblütig im Keller erstach.
    Er, der später erbärmlich einem hepatozellulären Karzinom erliegen sollte, erfuhr nie, dass sie ihn dabei beobachtet hatte. Er hatte behauptet, den Hund tot vor dem Haus gefunden zu haben.
    Noch Jahre später klebte in ihren Träumen das Blut, das den kalten Kellerboden bedeckt und in das sie ungläubig ihre Finger getaucht hatte, an ihren Händen. Fortan reagierte sie auf Maßregelungen in der Schule, oder wenn sie in Bedrängnis geriet, mitHändewaschen. Hinterher versteckte sie ihre aufgesprungenen, stark geröteten Hände vor den Blicken der anderen unter dünnen Wollhandschuhen und gab vor, an einer hartnäckig wiederkehrenden Allergie zu leiden.
    Sie hob die verstreut vor dem Bett liegenden und mit zahlreichen Anmerkungen und Streichungen versehenen Manuskriptseiten auf, ordnete sie zu einem Packen und ging damit hinauf in ihr Büro, ein kleines, hell gestrichenes, nach kaltem Rauch riechendes und mit einem nicht sehr großen, von außen vergitterten Fenster versehenes Zimmer, in dem ein Bürostuhl und ihr Schreibtisch standen, eine von zwei Holzböcken gestützte, schwarz beschichtete und speziell für sie zugeschnittene Tischplatte. Darauf befanden sich eine alte, ebenfalls schwarze Lampe sowie zahllose Stifte und in hellblaue Klarsichtfolien verstaute Manuskripte.
    Sie legte den Stoß Blätter auf den Schreibtisch und hielt beim Blick auf das einzige Bild, das sie aufgehängt hatte, kurz inne. Es zeigte ihr großes Vorbild, Vicki Baum, auch wenn sie natürlich wusste, dass sich das, was sie selbst schrieb, nicht einmal ansatzweise mit »Hotel Shanghai« und »Menschen im Hotel« vergleichen ließ.
    Als junge Frau hatte sie Vicki Baums Romane verschlungen und dabei eine große, unbestimmte Sehnsucht gefühlt. Später waren Françoise Sagan, Irmtraud Morgner und Anne Sexton hinzugekommen. Doch Vicki Baum war ihr

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