Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Auskunft verweigerte, war Valentin Steiner mit den Tabletten zu seinem Apotheker gegangen, um sie auf ihren Wirkstoff prüfen zu lassen. Als er zwei Wochen später vor dem Stiftleiter in dessen Büro saß und ihm die Ergebnisse des Apothekers vorlegte, redete der Mann sich gewunden heraus, sprach vom Fehlverhalten einer einzelnen Angestellten, das er ausdrücklich zu entschuldigen bitte, und versprach, die betreffende Person zu verwarnen und notfalls sogar vor die Tür zu setzen.
Marc nahm seinem Großvater das Glas ab, spülte es kurzunterm laufenden Wasser ab und stellte es auf die Abtropfe zurück. Dabei fiel sein Blick zufällig auf den hellen, neben dem alten Nordmende-Kofferradio stehenden Portionierer, worin in kleinen quadratischen Fächern die Tabletten lagen, die der Alte täglich einzunehmen hatte. Neben den unterschiedlich geformten weißen waren auch wieder zwei gelbe.
Marc war versucht, das Schälchen zu packen und damit auf der Stelle zur Stationsschwester zu laufen, entschied sich aber dagegen, dachte kurz nach, trat an das Bett des Alten, der noch immer keine Anstalten gemacht hatte, sich zu erheben, und sagte: »Ich muss schon wieder weg, Großvater! Aber ich komme am Nachmittag noch mal vorbei, denn ich muss dir unbedingt noch was erzählen, okay?«
Wie in Zeitlupe hob der Alte den Kopf, sah ihn leicht verwirrt an und sagte, wie eben aus einem Traum erwacht: »Marc, mein Junge!«
***
Er hatte Martha geliebt und liebte sie noch immer, intensiver sogar und verzweifelter denn je. Doch sein Verständnis von Liebe besagte auch, dass diese Liebe sich nicht in einem spontanen Gefühl erschöpfen durfte, sondern sich darüber hinaus in einem gut austarierten Verhältnis von Geben und Nehmen ausdrückte. Aber Martha, dieser Gedanke kam Adam plötzlich, während er im Bademantel und mit nassen, flüchtig nach hinten gekämmten Haaren zusah, wie die dunkelbraune Flüssigkeit, durch die Krupps Druckbrühtechnik gnadenlos dort hineingepresst, in den Glaskrug tropfte und der Kaffeespiegel sich langsam der Zweitassenmarke näherte, verlangte nicht nur mehr, als er offenbar zu geben imstande war, sondern bestrafte ihn obendrein dafür, dass er ihre Forderung nicht erfüllen konnte. Ihr Verhalten widersprach nicht nur seiner Vorstellung von echter Liebe, sondern gab ihm obendrein das unerträgliche Gefühl, als Mann einTotalversager zu sein, eine biologische Null. Eine Maschine, die im entscheidenden Moment nicht funktionierte und damit wertlos war.
Karoly hatte ihn am Telefon zu trösten versucht und versprochen, in Kürze nach Bremen zu kommen. Früher hatte er ihm, wenn Adam traurig war, eines seiner Funky-Koval-Magazine geschenkt, die der so liebte, oder ein Kapitan-Zbik-Heftchen für ihn gekauft. Doch das war ewig her.
Manchmal hatte er sich, wenn Martha arbeitete und er die Spätschicht fuhr, vorher mit Landsleuten bei Dana, einem polnischen Restaurant in der Innenstadt, getroffen und Bigos gegessen, einen aus Sauerkraut, Weißkohl und Fleisch bestehenden Eintopf, der genau wie damals zu Hause bei seiner Mutter in Polen mit verschiedenen, mit Rotwein, Kümmel, Majoran, Waldpilzen, Pflaumen und Tomatenmark verfeinerten Wurstsorten serviert wurde. Und wenn er dann, nachdem er lange mit den anderen Polen über ihr Leben in Bremen geredet hatte, das Verlangen nach wirklicher Geborgenheit und jener besonderen, feierlichen Art von Ruhe verspürte, wie er sie damals als Junge in Sosnowitz in der Serca Pana Jezusa an der Seite der Eltern und des Bruders beim sonntäglichen Kirchgang erfahren hatte, dann fuhr Adam ins Zentrum und ging in den Dom, bekreuzigte sich, ganz der gläubige Sohn seiner Mutter Kachna, und setzte sich auf eine der hinteren Bänke, wo er sofort ins Gebet verfiel und später, gestärkt durch die kurze Zwiesprache mit seinem Schöpfer, aus dem Halbdunkel heraus den Gläubigen dabei zusah, wie sie beteten.
Auch in diesen Minuten, da ihm aus der Glaskanne der belebende Kaffeeduft in die Nase stieg, verspürte Adam das Verlangen nach jener besonderen Ruhe, wie er sie von jeher nur in der Nähe Gottes fand und diesmal stärker denn je brauchte, um klar denken zu können. Und so beschloss er, in den Dom, in dem er so gern mit Martha gewesen war, zu gehen, sobald er sich angezogenund den Brief an Martha, den er in der Nacht begonnen und dann, mutlos geworden, nicht zu Ende geschrieben hatte, beendet und, an die Postanschrift ihrer Freundin Sabine in Vegesack adressiert, auf seine kurze Reise
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