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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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gemeinsam mit dem Wechselgeld hinlegte, war als Zeitpunkt des Ausdrucks 11 Uhr 39 vermerkt. Ahrens trank ein paar Schlucke aus der Flasche und lief zu den Telefonen, die sich neben den Toiletten befanden.Er stellte die Ein-Liter-Cola-Flasche neben sich auf den Boden, nahm den Hörer ab, warf drei Groschen in den Automaten und wählte.
    »Altstadt-Apotheke«, erklang Anettes Stimme.
    »Ich bin’s«, sagte er.
    »Gut, dass du dich meldest, Freiwald hat hier angerufen.«
    »Freiwald? Bei dir? Wieso ruft er mich nicht direkt an?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht hat er’s versucht und dich nicht erreicht. Du sollst ihn anrufen, und zwar so schnell wie möglich. Keine Ahnung, was er will, aber es klang ziemlich dringend.«
    »Okay, mach ich«, sagte Ahrens und wollte bereits auflegen, als seine Frau fragte: »Aber was wolltest du eigentlich?«
    Ahrens überlegte kurz, dann sagte er: »Deine Stimme hören!« Er lachte.
    »Schwindler«, sagte Anette und lachte ebenfalls. Dann legten sie auf, und Ahrens wählte Freiwalds Nummer in Frankfurt.
    »Freiwald?«
    »Ich bin’s, Ahrens«, sagte er, stieß mit der rechten Schuhspitze spielerisch gegen die auf dem Boden stehende Flasche.
    »Gut, dass Sie anrufen«, sagte Freiwald. »Es gibt ein Problem: Dagmar Scharlow hatte einen Unfall und ist mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Wenn Sie noch wollen, können Sie die Gladbeck-Sache übernehmen!«
    Ahrens überlegte nicht lange, und antwortete, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er den Leuten in Papenburg sein Nichterscheinen erklären sollte: »Und ob ich will!«
    ***
    Marc Steiner klappte das Visier seines orangefarbenen Sturzhelms herunter, legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung kommen. Surrend preschte die KTM über das holprige Kopfsteinpflaster die enge Ankergasse hinunter.
    Sein Vater, der als junger Mann eine 200er-Lambretta besaß,hatte ihm das Moped zwei Jahre zuvor gebraucht gekauft, was ihn ziemlich überrascht und auch ein bisschen enttäuscht hatte. Denn eigentlich hatte Marc immer von einer Kreidler Florett geträumt.
    Er war auf dem Weg zu seinem Großvater, Gustav Steiner, der seit knapp einem Jahr im Martin-Luther-Stift auf der Aue ein kleines Zimmer mit Bad und Kochnische bewohnte. Anschließend wollte er weiter zu seinem Freund Louis, der während der Ferien in Dörnigheim beim Massa Markt an der Kasse arbeitete, um sich das Geld zu verdienen, das ihm noch für den Kauf einer Florett fehlte.
    Gustav Steiner, der bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben bei der Filiale der Deutschen Bank am Roßmarkt in Frankfurt über dreißig Jahre die dortige Devisenabteilung geleitet hatte, war dement und nicht mehr in der Lage, alleine zu leben. Nach mehreren kleineren Katastrophen hatte ihn Marcs Vater im Martin-Luther-Stift angemeldet, weil er es nicht länger verantworten konnte, den alten Mann sich selbst zu überlassen. »Irgendwann steckt uns der Kerl noch das Haus an!«
    Marc liebte seinen Großvater, einen hageren, nicht sehr großen Mann mit dichten, nach hinten frisierten schlohweißen Haaren, freundlichen wasserblauen Augen und schlanken Händen, deren kleine Finger jeweils auffallend lange, spitz gefeilte Nägel zierten, mit denen er Briefe öffnete, sich da und dort lockernde Schräubchen festdrehte oder ihn quälende Apfelkerne aus seiner Prothese löste.
    Meist saß Marc ihm gegenüber und erzählte aus der Schule, von Freunden oder von Rachael, die er nicht vergessen konnte, während der Alte aufmerksam zuhörte, manchmal scheinbar verständnisvoll nickte, dabei aber wirkte, als lausche er anderen, inneren Stimmen, oder wie ein Vogel den Kopf, an dessen durchsichtig gewordenen Schläfen blaue Adern schwollen, leicht schräg legte und dabei langsam den schmallippigen Mund aufmachte,so dass er die ebenmäßigen Zähne seines neuen Gebisses entblößte. Das alte hatte er herausgenommen und anschließend irgendwo liegenlassen, ohne sich daran erinnern zu können, wo das gewesen war.
    Einmal war Marc, als er unbemerkt das Zimmer seines Großvaters betrat, Zeuge eines Gesprächs geworden, das dieser mit seiner vor langem verstorbenen Frau führte. Zunächst hatte Marc geglaubt, der Großvater habe Besuch. Doch dann sah er, dass der Alte alleine war, in seinem Sessel saß und in die Stille des Zimmers hineinredete. Sie sprachen über Bücher, die sie einmal gelesen hatten, über seine zunehmende Einsamkeit und wie sehr er das Heimleben verabscheute.
    Zuerst hatte ihm sein

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