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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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sich, warf den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter und sagte: »Ich muss gehen.«
    »Schade«, sagte Adam. »Aber vielleicht kommen Sie ja morgen wieder. Ich werde da sein.«
    »Vielleicht«, sagte die Frau, trat aus der Bank und ging in Richtung Ausgang.
    Kurz bevor sie die große Tür erreichte, blieb sie stehen, drehte sich um und hob kurz den rechten Arm, um Adams Winken zu erwidern. Dann trat sie hinaus ins gleißende Mittagslicht.
    Als Adam den Dom mit seiner Aktentasche unter dem Arm verließ, saß die Frau zu seiner Überraschung auf der Treppe davor. Zum Schutz vor der Sonne beschirmte sie mit der Hand die Augen. Ohne zu überlegen, setzte Adam sich neben sie. »Haben Sie auf mich gewartet?«
    »Vielleicht«, sagte die Frau und schob sich mit der freien Hand wieder das Haar aus dem Gesicht. »Woher kommen Sie, aus welchem Land?«
    »Aus Polen«, sagte Adam blinzelnd und legte nun ebenfalls die Hand über die Augen.
    »Das hört man«, sagte die Frau, »an der Art, wie Sie sprechen, meine ich.«
    »Ja, mein Deutsch ist schlecht«, sagte Adam. »Dabei bin ich schon drei Jahre in Deutschland.«
    »Und? Vermissen Sie Polen?«
    »Manchmal«, antwortete er und suchte ihren Blick.
    »Gehen Sie deshalb in den Dom?«
    »Auch«, sagte er. »Dabei bin ich katholisch.« Und dann sagte er: »Wer ist dieser Klaus? Ihr Freund?«
    »Er war mein Freund, aber jetzt nicht mehr«, antwortete sie.
    »Ich habe Durst. Sie auch?«, sagte Adam und erhob sich.
    »Ja, eigentlich schon«, sagte die Frau, und dann liefen sie über den ringsum von Cafés und geöffneten Lokalen gesäumten Platz und setzten sich an einen der freien, von rot-weißen Sonnenschirmen beschatteten Tische.
    »Für mich keinen Alkohol«, sagte die Frau, als Adam die kleine Getränkekarte studierte, »ich muss nachher noch fahren«.
    »Ich auch«, sagte Adam und sah sie lachend an. »Ich bin Busfahrer. Und Sie?«
    »Taxifahrerin«, sagte die Frau und musste ebenfalls grinsen. »Ein Busfahrer und eine Taxifahrerin. Wenn das kein Zufall ist.«
    »Warum waren Sie im Dom?«, fragte Adam und legte die Karte zur Seite.
    »Angst. Ich bekomme plötzlich Angst. Ohne Grund. Und manchmal werde ich traurig, auch wenn gar nichts passiert ist. Dann gehe ich in den Dom und warte, dass es vorübergeht.«
    »Und, hilft es?«
    »Meistens. Es ist wie Fieber. Mir wird heiß und kalt, und ichfange an zu zittern. Doch es ist eigentlich gar nicht so schlimm. Ich weiß ja, dass es jedes Mal wieder vorbeigeht.«
    Adam hörte ihr aufmerksam zu. Und ihr gefiel, dass er nicht sofort etwas sagte, irgendwas Abgedroschenes. Dann bestellte er bei der Bedienung zweimal Zitronenlimonade mit Eis und wandte sich ihr wieder zu. »Seit wann fahren Sie Taxi?«
    »Schon ziemlich lange. Seit wann sind Sie Busfahrer?«
    »Zwei Jahre«, antwortete Adam. »Vorher bin ich LKW gefahren. In Berlin.«
    »Ich fahre heute nach vier Monaten das erste Mal wieder. Ich brauchte eine Pause«, sagte Chris stolz, zog den Strohhalm aus ihrem Glas und machte spielerisch einen Knoten hinein. »Um zwei geht’s los!«
    Beide nippten an ihren Gläsern, während Hans-Jürgen Rösner sich in einer Vegesacker Boutique ein helles T-Shirt mit dem Aufdruck »Commander« kaufte.
    ***
    Rolf Kirchner stand am Fenster seines Büros im fünften Stock der Polizeiwache Mitte in der Markgrafenstraße. Spätestens in ein, zwei Stunden würde die Hitze, die gegen die heruntergelassenen Jalousien drückte, sein Büro in eine Sauna verwandelt haben.
    In den amerikanischen Krimiserien, die er sich manchmal ansah, »Remington Steele«, »Die Profis« oder »Vegas«, saßen die Ermittler im Hochsommer in staubtrockenen Anzügen in klimatisierten Räumen, während draußen die Sonne den New Yorker Asphalt langsam zu Brei kochte. Beim Dortmunder SEK konnten sie von solchen Zuständen nur träumen.
    Er hatte sich in den siebziger Jahren, im sogenannten »Deutschen Herbst«, am Kampf gegen die RAF beteiligt, hatte die Ermordung Hanns Martin Schleyers ebenso miterlebt wie die Entführung der »Landshut« und die sogenannte »Offensive 77«,die Schlussattacke der Roten Armee Fraktion, die den blutigen Höhepunkt und zugleich das vorläufige Ende des deutschen Terrorismus markierte. Er hatte diverse Geiselnahmen erfolgreich begleitet und später als Ausbilder den jungen SEK-Beamten sein angesammeltes Wissen weiterzugeben versucht. Doch was keine 24 Stunden zuvor in Gladbeck-Rentfort passiert war und immer noch lief, widersprach allem, was er in

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