Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
geschickt hatte.
Adam nippte vorsichtig und mit gespitzten Lippen an dem heißen Kaffee und ging mit dem Becher in der Hand ins Schlafzimmer, setzte sich aufs Bett und schielte argwöhnisch hinüber zu dem Block und dem Kugelschreiber, die noch immer auf Marthas Seite lagen. Entschlossen griff er danach und begann das in der Nacht Geschriebene zu lesen.
Sein Deutsch war trotz der drei Jahre, die er inzwischen aus Polen weg war, noch immer bruchstückhaft und unbeholfen. Und das, was er der Davongelaufenen in seinem zwar wortreichen, im Kern aber eher simplen Schreiben hinterherrief, war nichts anderes als ein umständlich formuliertes »Ich liebe dich, Martha! Komm zu mir zurück!«.
Beherzt formulierte er drei letzte Sätze, riss das Blatt aus dem Block heraus, faltete es zweimal und lief damit zurück in die Küche, wo in einer Schublade Umschläge lagen. Bevor er das Papier in den Umschlag steckte, presste er es gegen seine Lippen und schloss die Augen, begleitet von einem langen, kummervollen Seufzer. Dann klebte er den Umschlag zu, schrieb Sabines Adresse darauf und darunter »Für Martha Goldstein« und verließ, nachdem er sich angezogen, seine Tasche gepackt und wegen der Hitze die Rollläden bis auf einen winzigen Spalt heruntergelassen hatte, die Wohnung in Blumenthal.
Adam überlegte, ob er mit dem 71er oder dem 74er Bus ins nahe Vegesack fahren und seinen Brief eigenhändig in Sabines Briefkasten werfen sollte, entschied sich aber aus Angst, dabei womöglich Martha zu begegnen, dagegen und nahm den Bus in die City, wo er eine halbe Stunde später am Postamt in der Domsheide am Automaten eine Briefmarke zog und den Brief einwarf. Dann ging er zwischen all den ausgelassenen Passanten, Sonnenanbeternund Touristen hindurch auf direktem Weg zu St. Petri, stieß entschlossen die linke der beiden schweren Eingangstüren auf und tauchte in das Halbdunkel des Doms.
Martha, die evangelisch war, hatte ihm St. Petri gezeigt, und Adam hatte es von Anfang an dort gefallen, auch wenn er natürlich wusste, dass er in einem evangelischen Gotteshaus seinem Herrn nahezukommen versuchte. Später war er einmal allein in der katholischen St. Thomas-Kirche am Grenzwehr gewesen, hatte sie jedoch bereits nach ein paar Minuten, enttäuscht von der kühlen, sachlichen Atmosphäre, die dort herrschte, wieder verlassen.
Adam bekreuzigte sich flüchtig, beugte kurz das Knie und nahm in einer der hinteren Reihen Platz. Er stellte seine Aktentasche vor sich auf den Boden, senkte den Kopf und schloss die Augen. Und sofort waren die Erinnerungen wieder da, Bilder aus den zweieinhalb Jahren, die er mit Martha verbracht hatte: Martha und er beim Sex, Arm in Arm gemeinsam mit Karoly unterm Brandenburger Tor, beim Baden im Wannsee, im Q-Dorf, einer der angesagtesten Discos von Berlin (wo sie manchmal gemeinsam mit Karoly und dessen italienischer Freundin Francesca bis in die Morgenstunden gefeiert hatten). Zuletzt sah er das schmerzhaft helle Sprechzimmer des Urologen in Bremen vor sich, in welchem das Ende ihrer Beziehung seinen Anfang nahm.
Adam öffnete die Augen und sah plötzlich alles durch den Schleier seiner Tränen. Mit dem Handrücken wischte er sie weg und bemerkte eine Gestalt am äußersten Ende seiner Bank. Keine drei Meter von ihm entfernt lag eine Frau, die zu schlafen schien.
Wie ein Kind lag sie da, beide Hände, zu einem kleinen Kissen geformt, unter den Kopf gelegt. Als sei sie einfach irgendwann, vor vielen Jahren, an ihrem Platz eingeschlafen und bisher niemandem aufgefallen.
Während Adam sie betrachtete, begann sich die Frau sanft zuregen, richtete sich auf und blickte verwundert um sich. Als sie seiner gewahr wurde, legte sie ungläubig ihren Kopf schräg und sagte mit einem hörbaren Flackern in der Stimme: »Klaus? Bist du das?«
»Nein«, sagte Adam, »nein.«
»Oh, entschuldigen Sie«, antwortete die Frau und angelte nach ihrer Tasche, die zwischen den Bänken auf den Boden gefallen war. »Ich habe Sie, ich weiß auch nicht, warum, für einen Bekannten gehalten.«
»Tut mir leid«, sagte Adam und rutschte ein wenig zu ihr hinüber.
»Unsinn. Das braucht Ihnen doch nicht leidzutun«, sagte sie und strich sich eine Strähne aus der Stirn.
»Sie haben geschlafen«, sagte Adam. »Wie ein Baby.«
»Ich muss eingeschlafen sein«, sagte die Frau. »Wissen Sie zufällig, wie spät es ist?«
Adam hielt prüfend seine Armbanduhr ins schräg einfallende Licht.
»Zwanzig Minuten nach zwölf.«
Sie erhob
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